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Landstraße zwischen dem Center und Parkers Haus

Miss Parker rannte so schnell sie konnte. Sie rannte die Straße hinunter, die in die Kleinstadtsiedlung führte, in der ihr Elternhaus lag. Sie musste unbedingt vor ihrem Vater zuhause sein. Es dämmerte bereits. Miss Parker atmete schwer und hielt sich vor Schmerzen die Seite. Wenn sie ihren Vater überzeugen konnte, würde er keine weiteren Nachforschungen anstellen und sie und Jarod würden keinen Ärger bekommen. Das heißt, Jarod würde schon Ärger bekommen und steckte wahrscheinlich schon mittendrin, aber nur von Sydney.

Das ist anstrengend, aber erträglich, dachte Miss Parker, als sie plötzlich von einem Lichtkegel erfasst wurde. Da zwischen dem Center und Blue Cove an einem Samstagabend nie viel Verkehr herrschte, konnte das nur der Wagen einer bestimmten Person sein. Kurzerhand sprang Miss Parker in das Maisfeld neben der Straße und duckte sich. Es war gerade noch rechtzeitig, so dass der Fahrer des Mercedes E-Klasse sie nicht sah. Als der Wagen vorbeigefahren war, erhob sich Miss Parker aus ihrem Versteck und erhaschte noch einen Blick auf das Nummernschild. MR-P 1.

„Scheiße“, fluchte Miss Parker und stampfte mit dem Fuß auf.

 

Maisfeld zwischen dem Center und Parkers Haus

Miss Parker setzte ihre Hoffnungen auf die Abkürzung querfeldein. Der weiche Boden und die kratzigen Getreidepflanzen machten es ihr schwer. Am anderen Ende des Feldes konnte sie schon ihr Haus sehen. Ihr Vater musste mit dem Auto erst einmal bis zum Marktplatz von Blue Cove fahren, erst von dort konnte er in die Straße einbiegen, die zu ihrem Haus führte.

Sie kamen gleichzeitig an.

Miss Parker kauerte in der Gartenhecke und lauschte wie ihr Vater den Motor des Wagens abstellte. Dann hörte sie die Eingangstür des Hauses ins Schloss fallen. Miss Parker schlich zur Küchentür. Als ihr Vater das Licht anschaltete, sprang Miss Parker aus dem Lichtstrahl und drückte sich an die Hauswand.

Mr. Parker lief durch Haus und knipste die Lichter an.

„Engelchen?“, rief er und schaute in die Küche. Dann ging er die Treppe nach oben.

Miss Parker beobachtete das Fenster ihres Zimmers. Als dort das Licht anging, eilte sie so leise wie möglich in die Küche, rannte ins Gästebad und schloss von innen ab. Im Badezimmer zog sich Miss Parker schnell ihre nasse Kleidung aus und wickelte sich in ein Handtuch. Sie lauschte, als sie die Schritte ihres Vaters hörte, der das Haus gerade wieder verließ. Miss Parker warf einen Blick in den Spiegel. Ihre Haare waren noch nass. Ins Handtuch eingewickelt lief sie in den Flur und öffnete die Tür.

„Daddy“, rief sie. Mr. Parker wollte gerade ins Auto steigen.

„Engelchen, da bist du ja.“ Er stieg wieder aus und kam ins Haus. „Wieso hast du nicht auf mich gewartet?“, fragte er.

„Och“, Miss Parker tat unschuldig, „mir war so langweilig. Da bin ich nach Hause gegangen.“

Ihr Vater glaubte ihr und ging in die Küche. Aber Miss Parker stellte sich ihm in den Weg

„Daddy, können wir nicht zu Giovanni gehen?“

„Nein, mein Engelchen, ich bin zu müde.“ Er ging auf den Tassenschrank zu.

„Ach, bitte Daddy“, quengelte sie und nahm seine Hand, die schon am Griff des altmodischen Küchenschranks lag. Sie blickte ihn mit großen Augen an.

„Ist sowieso nichts im Kühlschrank.“ Sie nickte mit dem Kopf zum Kühlschrank hin. Mr. Parker überlegte kurz.

„Also gut, Engelchen, ich wollte eh nur einen Kaffee. Der ist bei Giovanni ziemlich gut“, sagte er und zog sich sein Jackett wieder über.

 

Im Center, 22 Uhr

Jarod stoppte die Spülmaschinenpumpe und öffnete die Klappe zum x-ten Mal. Der Schaum war schon weniger geworden, aber noch nicht ganz verschwunden. Jarod holte also wieder den Schwamm und holte so gründlich wie möglich jede kleine Schaumflocke aus dem Spülinnenraum. Den Boden hatte Jarod gewischt und auch die Scherben entfernt.

„Nein“, hörte er Sydney ruhige Stimme aus dem Vorraum. „Nein, Michelle, du weißt doch wie das im Center ist.“

 Es entstand eine Pause, als Michelle am anderen Ende etwas sagte.

„Doch, doch, morgen können wir uns sehen, nur nicht den ganzen Tag. Vormittags bleibe ich noch hier.“

Jarod schloss die Klappe der nun wieder sauberen Spülmaschine. Sydney telefonierte weiter und schielte zu Jarod rüber.

„Hm“, sagte er, „Hm.“ Dann drehte er sich mit dem Rücken zu Jarod. Jarod wusste, sie redeten über ihn. Während Sydney weiter seiner Gesprächspartnerin zuhörte, wandte er sich Jarod wieder zu. Als er sah, das Jarod nicht weiterarbeitete, zeigte Sydney auf den Topf. Jarod ging zur Spüle, kippte das Wasser aus dem Topf und begann angebrannte Kartoffeln vom Boden zu kratzen. Sydneys Stimme war durch das laute Schrubben nicht mehr zu verstehen. Dann legte Sydney auf.

Bevor Sydney von dem eingehenden Anruf unterbrochen worden war, hatte er angefangen die persönlichen Gegenstände der Mitarbeiter in eine Kiste zu packen und diese auf einer Liste zu notieren. Er überlegte sich, dass es dann für Jarod einfacher wäre, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sydney schüttete eine halbvolle Kaffeetasse, die ein Mitarbeiter hier stehengelassen hatte, ins Waschbecken und stellte sie in die Spülmaschine. Jarod legte den gespülten Topf ins Regal und Sydney ließ den letzten Gegenstand in der Kiste verschwinden. Es war das Foto, das Jarod betrachtet hatte, bevor Miss Parker kam. Sydney sah sich um.

„Jarod, das hast du gut gemacht. Ich denke, jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen.“ Jarod nickte. Sydney nahm die Kiste.

„Morgen früh komme ich wieder“, sagte Sydney, „dann wiederholst du das Experiment und schreibst die Protokolle, in Ordnung?“

„In Ordnung, Sydney“, antwortete Jarod. Sydney brachte Jarod in sein Zimmer und schloss die Tür hinter ihm.

 

Nachts, Parkers Haus

Miss Parker öffnete die Tür ihres Zimmers und schlich am Schlafzimmer ihres Vaters vorbei. Der alte Dielenboden schien nachts noch lauter zu knarren als tagsüber. Am Garderobenhaken durchwühlte sie die Manteltasche ihres Vaters. In seiner Brieftasche fand sie, was sie suchte: eine weiße Plastikkarte ohne jeglichen Aufdruck und einem schwarzem Magnetstreifen. Sie steckte die Karte in die Tasche und verließ das Haus.

 

Im Center, Jarods Zimmer, nachts

Die kleine Metallabdeckung neben der Tür von Jarods Zimmer hing nur noch an einer Schraube und zeigte ein Nest aus kleinen bunten Kabeln dahinter, von denen einige heraushingen. Mit einer Zange knipste er den Draht durch und entfernte ein Stück der Isolierung. Dasselbe machte er mit einem anderen Kabel. Als Jarod die beiden Kabelenden zusammenhielt, ertönte das vertraute Surren an der Tür. Er zog sie auf, kniff die Augen zusammen und hoffte sehr, dass es niemand gehört oder gesehen hatte. Er steckte den Kopf hinaus. Auf dem Flur war niemand zu sehen. Dann rannte Jarod ins Labor, in dem er am Nachmittag gearbeitet hatte.

Die Kamera deaktivierte er, in dem er die Stromzufuhr durch schnitt. Er holte das Geschirr der Parkers aus dem Versteck und begann es Stück für Stück in die Spülmaschine einzuräumen. Während die Maschine lief, suchte Jarod aus dem Lager Stofffetzen, Zeitungspapier und Luftpolsterfolie. Größere Stoffbahnen schnitt er sich zurecht. Die erste Ladung des gereinigten Geschirrs packte er in die Schubkarre und legte die Zwischenräume mit Stoff und Zeitungpapier aus. Jarod prüfte sein Werk. Selbst als er die Schubkarre die Treppenstufe hinunter fuhr, hörte man nur das Geräusch des Gummireifens auf Stein, aber kein klapperndes Geschirr.

Jarod lief mit dem Wagen zu der Tür, durch die er eigentlich nicht gehen durfte. Sie war mit einem Feueralarm gesichert, aber Jarod entsicherte sie. Dann öffnete er die schwere Brandschutztür einen Spalt und lugte hindurch.

Ein Wächter lief den leeren Flur entlang und gab den Status durch sein Funkgerät durch: „Zentrale an SL-17. Bitte kommen.“

„Zentrale hört. Bitte kommen.“

„Alles ok bei den Laboren. Bitte kommen.“

„Habe verstanden. Ende.“

Dann verschwand er um die nächste Ecke. Jarod steckte seinen Kopf aus der Tür. An der Decke sah er sofort eine Kamera, die sich bewegte. Schnell zog Jarod den Kopf zurück, mit einem leisen Klick schloss er die Tür wieder. Er hoffte, dass die Kamera ihn nicht aufgenommen hatte. Er blickte auf den Schubkarren.

Nein, so wird das nichts, dachte er. Aus Sydneys Büro holte er eine Schere und schraubte damit das Schutzgitter vom Lüftungsschacht. Dann kroch er hinein. Nach einem Meter versperrte ihm ein Drahtzaun den Weg. Mit der Schere knipste er ihn weg und kletterte bis in die oberirdischen Stockwerke.

 

Parkdeck des Centers

Miss Parker erreichte das Center und lief ins Parkhaus. Mit der Zugangskarte ihres Vaters öffnete sie die Tür. Dann lief sie endlose Flure entlang und ging zu den Aufzügen, die in die unterirdischen Etagen führten. SL-17 drückte sie und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Als Miss Parker auf SL-17 ausstieg, war der gesamte Flur dunkel. Nur die grünen Notausgangsleuchten machten gerade genug Licht, um nicht zu stolpern. Sie lief an dem Wegweiser vorbei auf dem „Naturwissenschaftliche Labore“ stand.

Sie öffnete die Tür, durch die sie heute Nachmittag geflohen war. Als sie ins Labor kam, war alles blitzblank. Nichts war mehr von dem Chaos zu sehen, dass sie heute Nachmittag angerichtet hatten. Miss Parker suchte im Biolabor nach der Schubkarre. Sie war verschwunden. Miss Parker überlegte. Ob Jarod verraten hatte, dass sie bei ihm gewesen war? Wenn ja, warum hatte ihr Vater nichts gesagt? Und wo war das Geschirr?

Auch in Sydneys Büro und im Simulationslabor fand sie den Wagen nicht. Miss Parker plante Jarod zu fragen. Aber zu seinem Zimmer reichte die Autoritätsstufe der Zugangskarte nicht aus. Im Safe ihres Vaters jedoch lag eine weitere Karte. Mit einer höheren Autoritätsstufe.

 

Miss Parker lief nach Hause.

 

Am hinteren Notausgang des Centers

Obwohl er es hätte wissen müssen, war Jarod doch etwas enttäuscht zu sehen, dass es dunkel war, als er die schwere Feuertür öffnete und nach draußen trat. Eine leichte Brise blies ihm ins Gesicht. Es roch nach Salz, Gras und Erde. Jarod kannte diese Gerüche, aber durch die jahrelange Isolation nahm er sie besonders intensiv wahr. Er blickte nach oben und betrachtete die Sterne. Er hörte dem Rauschen des Grases auf den Deichen zu, das vom Wind hin und her geschaukelt wurde. Aber dann fiel ihm ein, warum er hier war und Jarod begann zu laufen.

Alles was Jarod wusste, war, dass Miss Parker nicht weit vom Center entfernt wohnte. Jarod rannte über den Deich zu der einzigen Straße, die vom Center wegführte. In dem kleinen Städtchen lief er von Haus zu Haus, um herauszufinden, in welchem die Parkers wohnten.

„Hier wohnen die Donovans“ stand auf einem großen Kieselstein und ein lachendes Gesicht war daneben zu sehen. Jarod lief zum nächsten Haus. Dort gab es keinen Hinweis auf die Bewohner.  Auch am Gartenzaun und am Briefkasten stand nichts.

Jarod rüttelte vorsichtig am Gartentor, aber es war verschlossen. Der hölzerne Gartenzaun ging Jarod bis zur Brust. Jarod setzte den Fuß auf die Querverstrebung und schwang sich darüber. Als er einige Schritte auf das Haus zugemacht hatte, ging plötzlich das Licht an. Ein bellender Hund raste mit hoher Geschwindigkeit auf Jarod zu und jemand im Haus öffnete das Fenster. Jarod rannte zurück zum Gartenzaun, der Hund dicht hinter ihm. Jarod kniff die Augen zu und erwartete, dass der Hund ihm ins Bein biss. Aber der Hund wurde wie von einer unsichtbaren Wand aufgehalten. Er bellte, knurrte, sprang auf und ab und fletschte die Zähne. Jarod dreht sich um und sah, dass der Hund an einer Kette festgebunden war und ihn nur wenige Zentimeter von Jarod fernhielt.

„Hey, was willst du auf meinem Grundstück!“, schrie ein Mann aus dem Fenster und dann fügte er noch ein Wort hinzu, dass Jarod noch nie gehört hatte. Jarod sprang über den Zaun, warf sich flach auf den Boden und rutschte auf dem Bauch hinter einen Busch, als der Mann am Fenster Schüsse aus einem Gewehr abfeuerte.

Der Mann hörte auf zu schießen. Als Jarod hörte, wie sich die Tür des Hauses öffnete, stand er blitzschnell auf und rannte die Straße zurück zum Center, ohne sich noch einmal umzublicken.

 

Vor dem Haus der Parkers

Als Miss Parker an ihrem Haus ankam, sah sie, dass das Licht in der Küche an war. In der Ferne hörte sie den Hund der Carlsons bellen. Dann ging das Licht wieder aus. Sie lief durch den Garten zum Hintereingang, der in die Küche führte und hoffte, ihr Vater hatte, wie er es üblicherweise tat, die Milch direkt aus der Verpackung getrunken und war nicht auf die ungewöhnliche Idee gekommen, sich ein Glas zu nehmen. Vermutlich war ihre Mutter die einzige Parker, die für Milch ein Glas benutzte. Plötzlich hörte sie Schüsse. In der Küche ging das Licht wieder an. Schnell duckte sich Miss Parker und presste sich ganz eng an die Hauswand unter dem Küchenfenster. Ihr Vater hatte das Fenster geöffnet. Neugierig schaute er zum Haus der Carlsons. Der Hund aufhörte zu bellen, Mr. Parker zuckte mit den Schultern und schob das Fenster wieder zu. Als Miss Parker ihren Vater die Treppen nach oben steigen hörte, öffnete sie leise die Tür und schlich ins Haus. Aus dem Tresor ihres Vaters im Wohnzimmer holte sie seine Ersatzschlüsselkarte und eilte wieder zurück zum Center.

 

 

Straße zum Center

Jarod war schon auf halbem Weg zurück zum Center und hatte seine Schritte schon verlangsamt, da sah er von weitem zwei Lichter.

Ein Auto!, dachte er sofort und mit diesem Gedanken gleich mehrere desasterorientierte Vorstellungen darüber, wer der Fahrer des Wagens sein könnte.

War es der Hausbesitzer, der ihn verfolgte? Hatte er seinen Hund dabei? Hatte das Center schon bemerkt, dass er nicht in seinem Zimmer war?

Jarod sah sich nach rechts und links um. Der Wagen war gefährlich nahe und gerade bevor der Lichtkegel Jarod erfasste, sprang er in das Maisfeld und lief und lief. Die langen Maisstangen schlugen ihm ins Gesicht, sodass Jarod seine Arme vors Gesicht hob und seinen Blick nach unten hielt. Maisstange für Maistange gab nach und Jarod war schon sehr tief ins Maisfeld gerannt, fühlte sich aber noch nicht sicher genug. Er blickte nach hinten, um zu sehen, ob ihn jemand verfolgte, da prallte er plötzlich gegen etwas Hartes, das ihn mit viel Schwung umwarf.

„Aua!“, rief das Hindernis. Jarod hob den Kopf und stützte sich auf seine Ellenbogen, um zu sehen, wer gesprochen hatte. Ihm gegenüber auf ihrem Hintern, die Beine langgestreckt saß Miss Parker und hielt sich den Kopf.

„Jarod!?“ Miss Parker war mehr als überrascht. Sie hatte ihren Freund noch nie außerhalb des Centers gesehen. „Was machst du hier draußen?“

„Ich habe Sie gesucht, Miss Parker. Ich wollte Ihnen Ihr Geschirr zurückbringen, aber ich kann den Aufzug nicht benutzen. Ich krieg den Wagen nicht die Treppe hoch“, erklärte Jarod, während er sich aufrappelte. Er half Miss Parker auf.

„Jarod, bist du verrückt? Das gibt richtig Ärger.“ Miss Parker wunderte sich, wie eifrig Jarod ihr bei einer Idee half, die sie schon längst bereute.

Miss Parker und Jarod liefen zurück ins Center.

„Wo ist eigentlich das Geschirr?“, fragte Miss Parker.

„Im Treppenhaus, Notfalltreppe Süd-Ost“, antwortete Jarod. „Das ist der einzige Weg nach draußen, den ich kenne“, erklärte er.

 

Jarod und Miss Parker holten das Geschirr aus dem Center und liefen die Straße zurück zu Parkers Haus. Jarod schob den Wagen. Die leichte Morgendämmerung machte die Sterne fast unsichtbar. Ein rotgoldener Lichtstreifen schob sich zwischen die schwarzen Wolkenfronten und das Meer. Jarods Schritte wurden immer langsamer. Obwohl er das Meer und die Sonne aus Büchern und seiner Kindergartenzeit kannte, war er von ihrer Größe und Schönheit ergriffen. Das Licht, dass er dort am Horizont sah, erfüllte ihn mit einer sehnsuchtsvollen Stimmung.

„Jarod, wir müssen uns beeilen. Es wird schon hell“, meckerte Miss Parker. Jarod riss sich davon los, die Wunder der Natur mit Ehrfurcht zu betrachten. Er konzentrierte sich auf den Wagen, bis sie an Miss Parkers Haus ankamen. Miss Parker lief vor und winkte Jarod hinter das Haus.

„Hier wohnen Sie, Miss Parker?“, fragte Jarod.

„Psst, ja“, flüsterte sie und legte ihm die Finger über die Lippen. Sie öffnete die Küchentür ohne Hektik, um Geräusche zu vermeiden, die ihren Vater wecken könnten.

„Es ist viel kleiner als das Center“, flüsterte Jarod, der das Haus betrachtete. Es war mit vielen kleinen Spielereien, Stuck, Erker und anderen Dingen gebaut, die Jarod bewunderte.

„Natürlich, du Genie! Hier wohnen ja auch nur drei Personen. Und jetzt sei leise! Mein Vater schläft dort oben.“ Miss Parker zeigte mit dem Finger auf ein Fenster und begann Teller vom Wagen in die Küche zu tragen. Jarod hielt den Wagen noch fest und blickte zum Fenster. Er konnte sich nicht vorzustellen, wie Mr. Parker schlafend aussah und bei dem Gedanken daran, dass er Jarod hier entdecken würde, wurde ihm ganz schwindlig.

„Hilfst du mir oder was?“ Miss Parker klang ärgerlich. Jarod stellte schnell die Schubkarre ab und begann Geschirr mit einzuräumen. Das Haus war mit vielen Gegenständen eingerichtet, die Jarod noch nie gesehen hatte. Trotz seiner Neugier versuchte er, sich nicht davon ablenken zu lassen und folgte Miss Parkers knappen Anweisungen wie: „Das kommt da hin“ oder „Die Teller hier rein.“ Schließlich legte Miss Parker Gabel für Gabel, Messer für Messer und Löffel für Löffel in die Schublade. Jarod stellte den letzten Teller in den Schrank und lief nach draußen. Inzwischen war es hell geworden und Jarod sah, dass der weiche Boden, auf dem er stand, grün war. Grünes Gras! Wie auf dem Foto, das Jarod im Labor mehrmals betrachtet hatte. Er ging ehrfürchtig in die Hocke und befühlte das Gras. Es fühlte sich nass und kalt an. Er streichelte das Gras und ließ die Halme zwischen seine Fingern gleiten. Das Gefühl in seiner Hand weckte eine Erinnerung in ihm:

Er sah eine Frau mit langen, roten Haaren. Sie war groß und schlank und hing weiße Laken auf eine Wäscheleine. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Er rannte an ihr vorbei und ließ seinen Papierflieger durch die Luft schweben bis dieser im grünen Gras landete. Er hob ihn auf, dabei berührten seine Finger das Gras. Jarod begann einige Halme auszurupfen und roch daran.

„Jarod“, sagte die Frau mit den roten Haaren. Ihre Stimme war mild und sanftmütig.

„Mama, es riecht so gut“, sagte ein einige Jahre jüngerer Jarod und wollte seiner Mutter das Gras zum Schnuppern reichen. „Jarod!“, sagte Miss Parker gedämpft, aber mit Nachdruck.

Jarod wachte aus seinem Tagtraum auf und ein Gefühl der Beschämung überkam ihn, als er da so im Gras kniete und ein Büschel davon in der Hand hielt.

Miss Parker starrte ihn an und empfand – Mitleid. In diesem Moment wurde ihr klar, dass ihr Spielkamerad Jarod ein unschuldig Gefangener war. Ein Kind im Gefängnis. Aber im selben Augenblick fiel ihr ein, dass seine Gefängniswärter keinen Spaß verstehen würden, wenn aus seiner Zelle verschwunden war.

„Jarod, schnell, wir müssen zurück!“

Jarod rappelte sich auf, als die beiden das schabende Geräusch von Holz auf Holz hörten. Mr. Parker hatte sein Schlafzimmerfenster nach oben geschoben. Entsetzt blickten die beiden Kinder nach oben. Hektisch kramte Miss Parker in ihren Taschen. Sie drückte Jarod eine weiße Plastikkarte in die Hand.

„Hier, Jarod, lauf! Damit kommst du in dein Zimmer.“

Jarod lief. Die Angst, dass sein Verschwinden entdeckt wurde, schwappte in immer stärker werdenden Wellen in ihm hoch. Deshalb rannte Jarod sehr schnell und ohne sich umzudrehen zum Center zurück.

Mit der Karte, die Miss Parker ihm gegeben hatte, konnte er mit dem Fahrstuhl direkt ins Sublevel fahren, ohne dass jemand seine Fahrt unterbrechen konnte. Obwohl das kaum notwendig war, da so früh an einem Sonntag, selbst im Center, kaum jemand unterwegs war.

 

Außer Sydney.

 

Er war bereits auf dem Weg zu Jarods Zimmer, um ihn abzuholen. Aber der Fahrstuhl war belegt. Er drückte den Knopf mehrmals und wunderte sich. Schließlich blieb ihm nicht anderes übrig als zu warten, bis der Fahrstuhl, der offenbar von einer Person mit einer hohen Autoritätsstufe benutzt wurde, freigegeben wurde.

Jarod erreichte gerade sein Zimmer, die Tür stand noch offen. Jarod schraubte so schnell wie möglich mit zwei Schrauben die Abdeckung wieder an, versteckte das Werkzeug hinter seinem Bett und legte sich hinein. Verschwitzt, außer Atem und den Kopf voller neuer, frischer Eindrücke und Gedanken war es schwer, einen schlafenden Jarod vorzutäuschen. Gerade als Jarod sich mit dem Gesicht zur Wand gedreht hatte und die Decke zurechtgenestelt hatte, surrte seine Tür und Sydney kam herein. „Jarod, wach auf“, sagte er freundlich. Normalerweise wurde Jarod von seinen Wächtern geweckt, die ein kurzes „Aufstehen!“ knurrten und dann verschwanden. Leider hörte er Sydney näher ans Bett kommen.

„Jarod, bist du wach?“, fragte Sydney und fasste Jarod an die Schulter. Jarod drehte sich auf den Rücken und blickte Sydney an. Sydney sah den schwitzenden Jarod, der einen roten Kopf hatte und dessen Brustkorb sich schnell hob und senkte und das, obwohl Jarod versuchte, mit aller Macht normal zu atmen. Sydneys Blick wandelte sich in Status „Besorgt“.

Sydney war sofort klar was passiert war: „Hattest du wieder Albträume?“

Jarod nickte. Sydney glaubte, dass seine Gegenwart Jarod beruhigte und sprach weiter mit freundlicher Stimme: „Komm. Wenn du geduscht und gefrühstückt hast, bringe ich dich ins Labor.“ Sydney reichte ihm die Hand und Jarod ließ sich aus dem Bett helfen. Sydney wunderte sich, warum Jarod in seiner Uniform geschlafen hatte, sprach ihn aber nicht darauf an. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ließ Jarod sich zurück auf Bett sacken, hielt sich die Hände vors Gesicht und blies hörbar die angehaltene Luft aus seinen Lungen.

 










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