Im grünen Gras by shaack
Summary:

Pre-Rebirth: Young Miss Parker visits her friend Jarod at the center and gets him into some trouble. (-written in german)


Categories: German Characters: Catherine Parker, Jarod, Miss Parker, Sydney
Genres: Action/Adventure
Warnings: None
Challenges: None
Series: None
Chapters: 4 Completed: Yes Word count: 9517 Read: 8561 Published: 24/08/14 Updated: 24/08/14
Story Notes:

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1. Wer ist Jarod? by shaack

2. Im Labor by shaack

3. Hin und Her by shaack

4. Das Triumvirat by shaack

Wer ist Jarod? by shaack

Im grünen Gras

 

Lass los, welche du mit Unrecht gebunden hast;

lass ledig, welche du beschwerst;

gib frei, welche du drängst,

alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte.

 

Jesaja, 58,6

 

Kapitel 1: Wer ist Jarod?

 

Liebe Kinder,

hier in diesem Buch habe ich die Abenteuer von zwei Freunden aufgeschrieben. Es sind aber keine Abenteuer, wie ihr vielleicht meint, mit Piraten und einer Schatzinsel, einer Prinzessin, einem Drachen oder Zauberern. Nein, es sind nur Abenteuer von solcher Art, wie man sie erleben kann, wenn man nie rausgehen darf und so tief unter der Erde wohnt, dass es nicht mal ein Fenster gibt.

So erging es nämlich dem jungen Jarod.

Er war ein so intelligentes Kind, klüger als zehn oder zwanzig kluge Erwachsene zusammen. Daher beschloss eine geheime Organisation, als er vier Jahre alt wurde, er solle nicht bei seinen Eltern aufwachsen, sondern in ihrem wissenschaftlichen Zentrum. Kurzerhand entführten sie ihn.

Dann erklärten sie ihm, dass seine Eltern tot seien und sperrten Jarod in einem der vielen unterirdischen Stockwerke ein.

In diesem wissenschaftlichen Zentrum, welches in einem kleinen Ort Namens Blue Cove lag, musste Tag er für Tag Experimente durchführen, die den Erwachsenen – den Präsidenten, den Wissenschaftlern und Militärstrategen – dieser Welt bei der Lösung ihrer Probleme halfen. Und weil Wissenschaftler meistens keine besonders kreativen Menschen sind, nannten ihr Zentrum einfach „The Center“. Jetzt denkt ihr sicher: „Moment mal, das ist doch nicht richtig, so einen Jungen einzusperren, ganz allein ohne seine Eltern und ohne Freunde und ihn nie rauszulassen.“ Da habt ihr ganz Recht, aber ich habe ja auch nicht behauptet, dass Erwachsene immer alles richtig machen. Zuweilen gibt es Erwachsene, die richtig böse sind. Und mit solchen Leuten hatte es der junge Jarod nun zu tun. Aber nicht nur. Er hatte einige, wenn auch wenige, Freunde. Da war zum Beispiel Sydney. Er war ein Psychologe und die meiste Zeit redete er auch so, wie ein Seelenklempner eben so redet. Er war Jarods Lehrer und Erzieher. Er unterrichtete Jarod in allen Fächern. Er ermutigte Jarod, wenn dieser meinte, ein Problem nicht lösen zu können.

 

Jarod hatte eine weitere sehr außergewöhnliche und übernatürliche Gabe, an der Sydney mit ihm jeden Tag arbeitete. Er konnte sich in jeden anderen Menschen hineinversetzen und fühlen, was dieser fühlte, handeln wie dieser handeln würde und somit treffsichere Aussagen über die Zukunft für bestimmte Ereignisse erstellen. Er war also so etwas wie eine Mischung aus einem Hellseher und einem Gedankenleser, ohne aber tatsächlich hellsehen und gedankenlesen zu können. Sydney sagte oft, er sei ein menschliches Chamäleon. Ein Chamäleon ist ein Tier, das sich farblich an seine Umgebung anpassen kann. Seine Farbe konnte zwar Jarod nicht anpassen, aber in den Simulationen, die er täglich durchführte, passte er seine Persönlichkeit an. Er war ein Polizist oder ein Feuerwehrmann oder ein Soldat oder wer immer er sein wollte oder sein musste. Jarod war einer der wenigen Menschen auf der Welt mit dieser Gabe.

Und dann hatte Jarod noch einen Freund. Naja, eigentlich eine Freundin, denn sie war ein Mädchen. Aber damit ihr ja nicht glaubt, dass Miss Parker und Jarod ein Liebespaar wären, sage ich lieber nicht „er hatte ein Freundin“.

 „Miss Parker“ nannte Jarod sie ehrfurchtsvoll, obwohl er auch ihren Vornamen kannte, denn sie war die Tochter des obersten, obersten Chefs des Centers. Im Gegensatz zu Jarod wohnte Miss Parker nicht im Center. Sie wohnte mit ihren Eltern in einem großen, schönen Haus und dort beginnt unser Abenteuerbericht.

 

Ein Samstag, Juni 1994, Delaware, Blue Cove, Haus der Parkers

„Ich muss jetzt los, meine Kleine.“ Catherine Parker küsste ihrer Tochter, der 11-jährigen Miss Parker, zum Abschied die Stirn. Im Spiegel überprüfte sie noch einmal ihr dezentes Make-Up und strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht.

 „Mami, musst du wirklich weg?“, nörgelte Miss Parker.

„Ja, mein Schatz, ich muss meinen Flieger kriegen“, antwortete sie ihrem eigenen Spiegelbild. Dann nahm sie Blickkontakt zu ihrer Tochter im Spiegel auf und ihr Blick wurde ganz freundlich. „Was hast du heute vor?“

„Ich geh später zu Papa ins Center.“

Catherine drehte sich um und nahm ihren Koffer: „Vergiss nicht, das Geschirr zu spülen. Hab dich lieb.“

„Hm“, antwortete Miss Parker lustlos und öffnete ihrer Mutter die Tür. Mrs. Parker strich ihrer Tochter noch einmal über den Kopf und ging. Miss Parker lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, die mit einem leisen Klick ins Schloss fiel. Sie überlegte, was sie jetzt tun sollte. Das Geschirrspülen verschob sie auf später. Und dann hatte Miss Parker eine Idee.

 

Am Nachmittag kam Miss Parker erschöpft aber glücklich zurück. Sie setzte sich auf den Boden und zog kräftig an ihren Reiterstiefeln, bis sie sich von ihren Füßen lösten. Dann fummelte sie den Verschluss ihres Reiterhelms auf und pfefferte ihn in die Ecke. Durstig lief sie in die Küche, öffnete den Kühlschrank und trank die Milch direkt aus der Verpackung. Sie setzte den Trinkkarton ab und blickte sich in ihrer Küche um. In dem sonst so ordentlichen Parker-Haus standen überall leere Weingläser, halbleere Käseplatten, Teller an denen Soße, Krümel und Speisereste klebten. Außerdem viele Tassen mit Kaffeerändern und Gläser (die meisten davon hatte Miss Parker selbst benutzt) mit Saftresten. Der gestrige Empfang hatte eindeutig seine Spuren hinterlassen.

Miss Parker sah auf die Uhr. Sie würde es auf keinen Fall bis 16 Uhr ins Center schaffen, wollte aber dennoch pünktlich sein, damit ihr Vater nicht auf sie warten musste. Sie würden gemeinsam wiederkommen und es wäre nicht gut, wenn ihr Vater sehen würde, dass sie das Chaos nicht beseitigt hatte.

Da fiel Miss Parker ein, wie sie das Geschirr reinigen und trotzdem pünktlich bei ihrem Vater sein konnte. Sie schloss die Kühlschranktür und lief in den Garten. Im Geräteschuppen begann sie hektisch Sachen hin und her zu räumen, bis sie fand, was sie suchte.

Eine Schubkarre.

Mit der lief sie ins Haus zurück. Sie hievte sie die beiden Stufen hinauf, durch den Hintereingang, der direkt in die Küche führte. In aller Eile kippte sie die Reste aus den Tassen und Gläsern in den Ausguss. Essensreste verschwanden im Müll. Dann stapelte Miss Parker das dreckige Geschirr nach und nach im Schubkarren. Die Zwischenräume stopfte sie mit Geschirrtüchern aus. Dann zog Miss Parker ihre Reitkleidung aus und tauschte sie gegen einen hübschen Rock und eine Bluse.

 

Auf der Straße zum Center

Klapper, klirr, klapper, klirr waren die Geräusche, mit denen Miss Parker voran zog. Das Haus der Parkers lag nicht weit vom Ortsausgang von Blue Cove entfernt. Ebenfalls nicht weit hinter dem Ortsausgang lag das Center.

 

Da das Center direkt am Meer lag, war es auf einen großen Deich gebaut. Diesen Deich schob Miss Parker ihren Geschirrtransport nun hinauf und schnaufte vor Anstrengung. Sie lief zum Lieferanteneingang und schob die Karre in den Lastenaufzug. Dann lief sie zum Haupteingang. Selbstbewusst bewegte sich Miss Parker durch die Lobby und fuhr mit dem Aufzug in die Führungsetage. Ihre digitale Armbanduhr zeigte 16:03 Uhr. Um nicht noch später zu kommen, rannte Miss Parker den Flur entlang und schwang die Flügeltüren zum Büro ihres Vaters auf.

 

Zu ihrer Enttäuschung war es leer. Aus ihrer Enttäuschung wurde schnell ein schlechtes Gewissen. Miss Parker setzte sich auf den ledernen Drehsessel, auf dem sie winzig wirkte und betrachtete die Fotos auf dem Schreibtisch ihres Vaters. Auf dem Foto waren Miss Parkers Mutter und Miss Parker als Baby in ihrem Arm. Sie betrachtete das freundliche und anerkennende Lächeln ihrer Mutter und dachte dann an ihren Vater, der das meiste, was Miss Parker tat, missbilligte. Aus Langeweile begann Miss Parker die Büroklammern ihres Vaters zusammenzuknüpfen. Da öffnete sich die Tür. Mr. Parkers überraschtes Gesicht verriet, dass er das Treffen mit seiner Tochter vergessen hatte.

„Engelchen! Was machst du denn hier?“

„Papa!“, antwortete Miss Parker empört und stand auf.

„Ach ja, ja, mein Engelchen, es tut mir leid. Du musst noch etwas auf mich warten, ich habe noch eine wichtige Besprechung.“

Hinter ihm tauchte Mr. Raines auf. Miss Parker konnte ihn nicht leiden. Er blickte immer alle so an, als würden sie nach Erbrochenem riechen, fand Miss Parker. Mit genau diesem verachtenden Blick sah er erst Miss Parker, dann Mr. Parker an und schob fragend die Augenbrauen nach oben.

 

Mr. Parker schob Mr. Raines aus dem Zimmer. „Kommen Sie, wir sprechen im Konferenzraum“. Miss Parkers Vater drehte sich noch einmal um: „Engelchen, mach deine Hausaufgaben und warte hier auf mich, ja?“ Dann fiel die Tür hinter ihm zu. Miss Parker ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und verschränkte trotzig die Arme. Mit ihren Beinen stieß sie sich ab und drehte einige heftige Runden auf dem Bürostuhl.

„Typisch“, ärgerte sie sich. Ihr Vater lebte in seiner eigenen Centerwelt. Für ihn gab es keine Samstage und Sonntage. Für ihn waren alle Tage gleich. Er wusste nicht mal, dass Miss Parker heute gar keine Schule gehabt hatte. Sie stoppte das Drehen und grinste. Vielleicht kam ihr die Arbeitswut ihres Vaters heute doch ganz recht. Miss Parker stand entschlossen auf und verließ das Büro.

 

 

Im Labor by shaack

 

SL-17 Naturwissenschaftliche Labore

Jarod war wie immer allein. Heute Vormittag hatte er mit Sydney eine Simulation durchgeführt, jetzt führte er im Chemielabor einen Versuch für eine Hausarbeit durch. Sydney hatte ihn an einer deutschen Universität angemeldet, seit Jarod angefangen hatte, aus Langeweile Alarmanlagen zu manipulieren und anderen Unsinn zu treiben. Jarod war Sydney dafür sehr dankbar. So entkam er der ständigen Monotonie und dem unendlichen grau und weiß seines eigenen Sublevels.

Da das Labor unter der Woche normalerweise von Centermitarbeitern benutzt wurde, gab es persönliche Gegenstände und sogar einige Postkarten am Präparaten-Kühlschrank der Biologen. Es gab eine Postkarte mit bunten Häusern aus Holz. „Grüße aus Schweden“ stand darauf. Und eine aus Florida, auf der eine übermenschengroße, lächelnde Maus mit weißen Handschuhen zu sehen war. An einem Arbeitsplatz stand ein Foto von einem Jungen, der mit einem Hund mit goldgelben Fell und Schlappohren schmuste. Sie lagen beide in saftig grünem Gras. Jarod betrachtete das Bild und versuchte sich zu erinnern, wie Gras sich anfühlte. Hinter ihm köchelte eine dunkle Flüssigkeit in einem Erlenmeyerkolben, der von einem Bunsenbrenner erhitzt wurde. Plötzliche hörte Jarod Schritte. Er riss den Blick von dem Foto los und eilte zu seinem Experiment. Dann runzelte er die Stirn, denn außerdem hörte er auch „klapper, klirr, klapper, klirr.“ Dann erkannte er die Schritte, den Klang dieser Schuhe, die nur einer Person gehören konnten und lächelte voller Vorfreude.

 

Miss Parker öffnete die Tür zu den naturwissenschaftlichen Laboren, in denen es heute ganz still war. Sie befestigte die Tür in die dafür vorgesehene Halterung und ging dann zurück in den Vorraum, um die Schubkarre nachzuholen. Das klirrende Geschirr lärmte so sehr, dass Miss Parker befürchtete, ihr Vater würde es 22 Stockwerke weiter oben im Konferenzraum hören. Miss Parker stellte den Wagen vor dem Chemielabor ab, weil vor dem Eingang zwei Stufen waren und betrat das Labor, dessen Tür nun offen stand. Hinter seinem Versuchsaufbau stand ihr Freund Jarod und lächelte.

 „Miss Parker“, rief er erfreut. „Wie schön, dass Sie da sind. Ich freue mich, dass Sie mich besuchen. Was haben Sie da mitgebracht?“, wollte Jarod sagen, aber vor Freude und Aufregung brachte er nicht mehr als ihren Namen heraus. Sein Herz hüpfte bis zum Hals, als er dort an dem hölzernen Türrahmen das lieblichste und wunderbarste Wesen der Welt sah.

„Hi, Jarod“, sagte Miss Parker cool. „Was machst du da?“, fragte sie während sie durchs Labor streifte und sich die Sachen ansah, die Jarod hier fabrizierte.

„Ich destilliere Alkohol“, sagte er und kam sich etwas albern vor, weil er nicht genau wusste, ob Miss Parker das überhaupt interessierte.

„Alkohol?“, fragte Miss Parker. „Willst du dich etwa betrinken?“

 „Nein“, sagte er, „ich führe den Versuch durch und schreibe dann ein Protokoll. Aber ich habe keine Protokollvordrucke mehr.“

 „Aha, und was ist das für ein Experiment?“, fragte Miss Parker und zeigte auf einen normalen Küchenherd, der auch Teil des Labors war, auf dem etwas in einem Topf quackerte.

„Kein Experiment.“ Jarod schüttelte den Kopf. „Ich koche Kartoffeln für die Kaninchen im Bio-Labor. Wenn sie abgekühlt sind, können wir sie gemeinsam füttern“, schlug Jarod vor.

Miss Parker blieb vor dem Objekt ihrer Begierde, der Spülmaschine, stehen.

„Jarod, kannst du mir einen Gefallen tun?“ Jarod war enttäuscht, dass sie auf seinen Vorschlag nicht einging, aber wollte mit Eifer Miss Parkers Wunsch erfüllen.

„Was ist es denn, Miss Parker?“

„Ich muss das Geschirr hier spülen bis mein Vater nach Hause kommt.“ Sie ging zur Schubkarre und hob die Decke, mit der sie das Geschirr abgedeckt hatte. „Und hier im Labor gibt es doch eine Maschine, die Geschirr spülen kann, oder?“

 Jarod riss die Augen auf. „Das haben Sie alles hierher geschleppt?“ Jarod wunderte sich, dass Miss Parker den Weg- Zeit-Aufwand um ein Vielfaches vergrößerte, indem sie das Geschirr hierher brachte anstatt es zuhause zu reinigen, sagte aber nichts. Insgeheim träumte er, sie hätte es für ihn getan, damit sie hierher, zu ihm, kommen konnte. Jarod fühlte sich stets glücklich, wenn Miss Parker bei ihm war. Er nahm eine Flasche mit gelber Flüssigkeit, die auf dem Geschirrberg lag.

„Was ist das? Tenside?“

„Nein, das ist Spülmittel.“

 Jarod wollte Miss Parker erklären, dass die meisten Spül- und Waschmittel Tenside enthielten, ja sogar daraus bestanden. Aber dann betrachtete er die Vorderseite der Flasche. Da war eine Zeichnung von einem Mann mit einer Glatze, er hatte sehr starke Oberarme, die er vor der Brust verschränkte, trug ein weißes T-Shirt und einen Ohrring im linken Ohr. Darunter stand sein Name. „Kennen Sie diesen Mister Proper?“, fragte Jarod. Miss Parker lachte nur. „Schade, sonst hätte ich Mister Proper fragen können wegen der Tensidzusammensetzung“, sagte Jarod.

„Jarod, nicht alles in der Welt ist Chemie. Und außerdem heißt er Meister Proper.“

„Doch, Miss Parker, eigentlich ist alles, was in der Welt, ist eine chemische Verbindung. Sogar Sie und ich“.

Miss Parker sah Jarods Augen aufleuchten und merkte, dass es ihn ernsthaft interessierte. Sie beschloss ihn abzulenken.

„Hilfst du mir nun oder nicht?“, fragte Miss Parker ungeduldig.

„Natürlich Miss Parker!“, sagte er eifrig. Er lief zur Maschine, öffnete sie und sah skeptisch hinein. „Aber wir müssen die Spülmaschine erst reinigen. Ich hab gestern mit roten Früchten und Eisen-II-Laktat experimentiert und die Geräte hier drin gespült. Es könnte passieren, dass sich das Geschirr rosa verfärbt.“

 „Mama würde mich töten. Das gute Villeroy und Boch.“

„Miss Parker“, sagte Jarod erschrocken, „ich bin sicher, Ihre Mutter würde Sie niemals töten.“

Miss Parker rollte mit den Augen, aber dann erklärte sie Jarod freundlich: „Das ist ein Synonym für ‚großen Ärger bekommen‘“.

„Oh, ach so“, sagte er, schloss die Klappe und ging zur Tür.

„Wo gehst du hin?“, fragte Miss Parker.

„Ich muss unbedingt neue Protokollvordrucke bei Sydney holen.“ Er deutete auf sein Experiment, „Wenn ich das heute Abend nicht fertig habe, wird er mich töten.“ Er grinste weil er die neu gelernte Redewendung benutzte. Aber dann wurde er ernst.

„Bitte“, begehrte er, „Sie bleiben doch noch hier, oder?“

„Hm, ich bleibe noch“, antwortete Miss Parker mit konzentriertem Blick auf dem Programmknopf der Spülmaschine. Jarod hätte vor Freude fast einen Luftsprung gemacht und rannte so schnell wie möglich davon, um schnell zurück zu sein.

„Ich fang schon mal an“, murmelte sie Jarod hinterher, ohne hinterher zu blicken. Miss Parker hatte noch nie eine Spülmaschine benutzt. Ihr Vater war der Meinung, etwas Handarbeit täte der Familie gut, wobei die Handarbeit meistens von ihren Händen ausgeübt wurde. Eigentlich war er nur zu geizig, die Strom- und Wasserkosten zu bezahlen. Das Gerät erschien ihr nicht allzu kompliziert. Da waren eine Start-Taste und ein Drehschalter, der verschiedene Temperaturen anzeigte. Miss Parker verteilte großzügig Mr. Proper in den Spülraum, schloss die Tür und drückte auf Start. Die Spülmaschine brummte und Miss Parker lief ins Bio-Labor nebenan und betrachtete die Kaninchen. Ihr Lieblingskaninchen, ein weißes mit ganz weichem Fell, nahm sie auf den Arm und streichelte es.

 

Sydneys Büro im Simulationslabor

Sydney sah von seiner Arbeit am Schreibtisch auf, als Jarod ins Simulationslabor platzte und die Treppen zur Empore nach oben lief.

„Sydney, ich brauch Protokollvordrucke!“, rief er außer Atem an Sydneys Bürotür angekommen.

„Du bist gerannt?“, fragte Sydney seinen Schüler. Er öffnete die Schublade von seinem Schreibtisch und holte ein paar Blätter raus.

 „Ich hab’s eilig“, sagte Jarod.

Sydney reichte Jarod die Papiere. Jarod griff danach, aber Sydney hielt sie fest. Fragend schaute Jarod ihm in die Augen.

„Ist Miss Parker bei dir?“, fragte Sydney.

 Jarod ließ die Protokolle los und hoffte so sehr, dass Sydney Miss Parker nicht wegschicken würde. „Lass sie dich nicht von deiner Arbeit ablenken. Du weißt, am Montag muss das alles in Deutschland sein.“ Sydney legte den Papierstapel hin.

„Ja, Sydney“, sagte Jarod erleichtert , nahm die Protokolle und flitzte davon.

 

Als Miss Parker Jarods Schritte hörte, setzte sie das Kaninchen zurück in seinen Käfig und ging wieder ins Chemielabor. Sie war sich sicher, dass die Maschine nun sauber war, drückte auf Stopp und öffnete die Klappe, als plötzlich links und rechts ein Wasserschwall und jede Menge Schaum, Schaum und noch mehr Schaum herausquoll.

„Klappe zu!“ rief Jarod von der Tür und eilte zu Miss Parker. Blitzschnell schloss sie die Maschine, Jarod aber rutschte auf dem glitschigen Schaum-Wasser-Gemisch aus und suchte nach Halt an dem Tisch, auf dem sein Eisen-II-laktat Experiment stand und riss die mit blutroter Flüssigkeit gefüllten Reagenzgläser mit nach unten. Der rote Saft lief ihm vom Kopf auf die Schultern und Hände. Miss Parker schrie vor Schreck auf, denn sie dachte, Jarod hätte sich verletzt. Jarod dachte nur daran, die rote Flüssigkeit so schnell wie möglich zu entfernen, bevor sie das Mobiliar für immer verfärbte, als ein lautes piep, piep, piep, piep einsetzte. Das war der Timer, der ansagte, dass die Kartoffeln fertig waren. Jarod stand auf und eierte vorsichtig nach hinten zu den Putzutensilien. Das piep, piep, piep, piep ignorierte er, obwohl der Deckel auf dem Topf schon schepperte, als das sprudelnd-kochende Wasser dagegen schlug.

 „Miss Parker, machen Sie die Pumpe an!“, rief er ihr zu. Miss Parker drehte den Programmknopf auf abpumpen und drückte auf Start. Ein ohrenbetäubendes Knattern ertönte im Labor.

 „Schalten Sie sie wieder aus!“, rief Jarod. Er hatte sich einige Wischlappen, Schüsseln und Chlorreiniger geangelt und lief vorsichtig zurück.

 „Was?!“, rief Miss Parker, die Jarod durch den Lärm nicht verstanden hatte. Jarod wiederholte was er gesagte hatte und als er es sagte, hätte er im Vorbeigehen, so aus dem Augenwinkel, wahrnehmen können, dass sein Gebräu im Erlenmeyerkolben über dem Bunsenbrenner sehr stark kochte - zu stark und sich im ganzen Gerät bereits ein enormer Druck aufgebaut hatte. Aber er bemerkte es nicht.

„Hier halten Sie die Schüssel hier ran!“, rief er durch das ohrenbetäubende Geknatter, das penetrante piep, piep, piep, piep und das laute Scheppern des Topfdeckels. Er legte viele Putzlappen auf den Boden, stellte die Pumpe aus und hielt ebenfalls eine Schüssel an die andere Seite des Geräts. Das Knattern war vorbei, aber das piep, piep, piep, piep blieb und dazu das zischende Geräusch von Wasser, dass auf die heiße Herdplatte schwappte.

„Auf drei öffnen wir die Klappe und versuchen so viel Wasser wie möglich aufzufangen“, wies Jarod Miss Parker an. „Eins“, zählte er, „zwei, drei“.

 

KAWUMMMM

 

Die folgenden Ereignisse passierten innerhalb weniger Sekunden in dieser Reihenfolge:

Erstens öffneten Miss Parker und Jarod die Klappe der Spülmaschine und das Schaumwasser begann in die Schüsseln zu laufen. Dann explodierte Jarods Versuchsaufbau zum Destillieren von Alkohol. Glassplitter schossen umher. Jarod und Miss Parker erschraken und ließen die Schüsseln fallen. Jarod riss Miss Parker zu Boden, lehnte sich über ihren Kopf und schütze mit beiden Händen seinen eigenen. Ein umherfliegender Glassplitter traf die piepende Küchenuhr, welche herunterfiel und in viele kleine Stücke zerbrach. Dann kochten die Kartoffeln über und das Wasser drückte den Deckel vom Topf, der scheppernd zu Boden fiel. Ein Schwall verdampfte auf der heißen Herdplatte und stieg als Wasserdampf nach oben.

 

Und dann war es erstmal still.

Bis auf das leise Zischen im Kartoffeltopf.

 

Jarod rührte sich: „Sind Sie verletzt, Miss Parker?“

 „Nein, aber nass“, sagte sie, stand auf und blickte an sich herunter. Jarod stand auf, lief zum Herd, stellte ihn aus und schob den Topf zur Seite. Dann betrachtete er das Ausmaß der Zerstörung. Das gesamte Labor stand unter Wasser. Seine beiden Versuche – die Arbeit von vielen Stunden – waren dahin. Die Spülmaschine war voller Schaum. Braune Flüssigkeit tropfte von den Wänden und rote war auf dem Experimentiertisch und dem Fußboden verteilt. Glassplitter ließen jeden Schritt knirschen.

Und dann begann es zu regnen.

 

Sydneys Büro

Fast schon schüchtern klopfte Mr. Parker an den Türrahmen zu Sydneys Büro, dessen Tür wie immer offen stand. Sydney, der mit dem Rücken zur Tür gewandt über sein Archiv gebeugt war, drehte sich um.

„Mr. Parker!“, rief er überrascht, nicht sicher, ob ein Besuch von ihm Gutes oder Schlechtes bedeutete. Sydney ließ die Papiere liegen und eilte ehrfurchtsvoll zu seinem Chef, um ihm die Hand zu schütteln. „Sir, was kann ich für Sie tun?“

„Ach nichts, Sydney“, winkte Mr. Parker ab, „eigentlich hatte ich nur gehofft, meine Tochter hier zu finden. Sie wissen nicht zufällig, wo sie ist?“

„Tut mir leid, Miss Parker war heute nicht bei mir.“

„Hm.“ Mr. Parker drehte sich um, legte seine Hände auf das Metallgelände und blickte von der Empore auf das Simulationslabor.

 „Wo ist Jarod? Alles soweit in Ordnung mit ihm?“, fragte Mr. Parker.

„Ja, alles ist bestens“, pries Sydney Jarod. „Er wird von Monat zu Monat klüger und weiß seine Gaben genauer einzusetzen. Ich habe ihn in einer deutschen Universität eingeschrieben. Fernstudium. Das soll ihm helfen sich noch schneller auf bestimmte Simulationen einzustellen.“

 

 

 

Im Labor

.„Schnell, Miss Parker, gehen Sie!“, rief Jarod panisch und laut, um das Queeek, Queeek, Queeek des Feueralarms zu übertönen.

Die Schubkarre, dachte Miss Parker und lief zum Laborausgang, der in die Sublevels führte.

„Nein, nehmen Sie nicht diesen Ausgang!“, rief Jarod, während er den Sicherungskasten öffnete. Aber Miss Parker verschwand durch diese Tür. Miss Parker kam zurück und versuchte die Schubkarre über die beiden Stufen zu heben. Jarod eilte ihr zu Hilfe und sie versteckten den Wagen schnell in den Biolaboren nebenan.

„Bitte sag Sydney nicht, warum ich hier war“, bat Miss Parker. Jarod nickte. Dann verschwand sie durch den Haupteingang, der direkt in die überirdischen Etagen führte und zu denen Jarod der Zugang nicht erlaubt war.

Gerade als hinter Miss Parker die Tür zufiel, erschien Sydney im Labor.

„Jarod!“, rief er mit Entrüstung und Sorge. Jarod blickte ihn an. Das Wasser lief ihm von der Stirn in den Nacken und er fröstelte. Sydney schob die Schultern hoch und kniff die Augen unter dem künstlichen Regen zusammen. Er eilte auf Jarod zu, schob ihn zur Seite und öffnete den Spülunterschrank, um den Haupthahn zuzudrehen und schaltete die Alarmanlage aus.

 

Der Regen und der Alarm hörten auf.

 

Sydney packte Jarod am Arm.

„Jarod, was ist passiert?“, fragte er streng.

Mr. Parker erschien im Labor und ging auf die beiden zu. Jarod blickte erst Mr. Parker, dann Sydney an. Ängstlich antwortete er: „Mir ist das Kaninchenfutter angebrannt.“

Mr. Parker kam näher. Seine Schritte hallten auf dem Steinfußboden.

„Sydney“, begann Mr. Parker, winkte Sydneys Ohr zu sich heran und presste zwischen seinen Lippen hervor: „Wir beide müssen noch mal über das Benutzen dieser Labore durch den Pretender reden. Halten Sie mich auf dem Laufenden über das hier.“

Sein Blick schweifte über das zerstörte Labor. Er machte einen weiteren Schritt auf Jarod zu, beugte sich zu ihm und blickte ihm streng in die Augen.

„Junger Mann“, sagte er, „war meine Tochter hier?“

Jarod schüttelte zaghaft den Kopf. Sein Herz klopfte bis zum Hals und er befürchtete, dass Mr. Parker wusste, dass er log. Aber Mr. Parker nickte nur, grüßte Sydney zum Abschied und ging davon.

Sydney zog Jarod am Arm den Gang hinunter Richtung Simulationslabor. Jarod blickte sich noch einmal zum Labor um. Als Sydney glaubte genügend Abstand zwischen sich und Mr. Parker gebracht zu haben, wirbelte er Jarod herum, packte ihn an den Schultern und sah ihm in die Augen.

„Du hast Mr. Parker angelogen?“, fragte er erschüttert.

„Nein, habe ich nicht!“, wehrte sich Jarod.

„Jarod, lüg mich nicht an. Ich habe dich doch gefragt, ob Miss Parker bei dir ist.“

„Ja, aber ich habe nicht ‚Ja‘ gesagt“, argumentierte Jarod.

Sydney ließ ihn los. Er holte eine Magnetkarte aus seiner Hosentasche und führte sie durch das Lesegerät. Dann gab er einen Code ein, der die Tür zu Jarods Zimmer öffnete.

Er ging zu Jarods Kleiderschrank und drückte ihm ein Handtuch und ein Bündel trockene Kleidung in die Hand. Jarod zog die nassen Sachen aus.

„Jarod, er verlangt von mir einen Bericht bis Montag und er wird auch die Aufnahmen von den Überwachungskameras sehen wollen.“ Sydney legte sein nasses Jacket über einen Stuhl ab.

„Das hat er doch gar nicht gesagt!“, maulte Jarod.

Er hatte Angst. Angst, dass Sydney herausfand, warum Miss Parker wirklich gekommen war. Angst, dass Jarod Miss Parker vielleicht nie mehr wieder sehen dürfte, schließlich hätte sie schwer verletzt werden können, weil er das Experiment nicht im Auge behalten hatte.

„Oh, doch, er sagte: ‚Halten Sie mich auf dem Laufenden‘. Das ist bedeutet das Gleiche wie, er will einen Bericht und zwar bis Montag.“

Jarod setzte sich resigniert aufs Bett. Sydney redete weiter: „Deshalb werde ich mir am Montag die Aufnahmen der Überwachungskamera von dem Techniker geben lassen. Wenn du also gelogen hast, ist das deine letzte Chance mir die Wahrheit zu sagen.“

Jarod schwieg. Wenn er jetzt noch einen Funken Glaubwürdigkeit behalten wollte, musste er bei seiner Version bleiben, bis er eine Idee hatte, wie er sich und Miss Parker aus der Sache herauswinden könnte.

 

 

 

Hin und Her by shaack

 

Landstraße zwischen dem Center und Parkers Haus

Miss Parker rannte so schnell sie konnte. Sie rannte die Straße hinunter, die in die Kleinstadtsiedlung führte, in der ihr Elternhaus lag. Sie musste unbedingt vor ihrem Vater zuhause sein. Es dämmerte bereits. Miss Parker atmete schwer und hielt sich vor Schmerzen die Seite. Wenn sie ihren Vater überzeugen konnte, würde er keine weiteren Nachforschungen anstellen und sie und Jarod würden keinen Ärger bekommen. Das heißt, Jarod würde schon Ärger bekommen und steckte wahrscheinlich schon mittendrin, aber nur von Sydney.

Das ist anstrengend, aber erträglich, dachte Miss Parker, als sie plötzlich von einem Lichtkegel erfasst wurde. Da zwischen dem Center und Blue Cove an einem Samstagabend nie viel Verkehr herrschte, konnte das nur der Wagen einer bestimmten Person sein. Kurzerhand sprang Miss Parker in das Maisfeld neben der Straße und duckte sich. Es war gerade noch rechtzeitig, so dass der Fahrer des Mercedes E-Klasse sie nicht sah. Als der Wagen vorbeigefahren war, erhob sich Miss Parker aus ihrem Versteck und erhaschte noch einen Blick auf das Nummernschild. MR-P 1.

„Scheiße“, fluchte Miss Parker und stampfte mit dem Fuß auf.

 

Maisfeld zwischen dem Center und Parkers Haus

Miss Parker setzte ihre Hoffnungen auf die Abkürzung querfeldein. Der weiche Boden und die kratzigen Getreidepflanzen machten es ihr schwer. Am anderen Ende des Feldes konnte sie schon ihr Haus sehen. Ihr Vater musste mit dem Auto erst einmal bis zum Marktplatz von Blue Cove fahren, erst von dort konnte er in die Straße einbiegen, die zu ihrem Haus führte.

Sie kamen gleichzeitig an.

Miss Parker kauerte in der Gartenhecke und lauschte wie ihr Vater den Motor des Wagens abstellte. Dann hörte sie die Eingangstür des Hauses ins Schloss fallen. Miss Parker schlich zur Küchentür. Als ihr Vater das Licht anschaltete, sprang Miss Parker aus dem Lichtstrahl und drückte sich an die Hauswand.

Mr. Parker lief durch Haus und knipste die Lichter an.

„Engelchen?“, rief er und schaute in die Küche. Dann ging er die Treppe nach oben.

Miss Parker beobachtete das Fenster ihres Zimmers. Als dort das Licht anging, eilte sie so leise wie möglich in die Küche, rannte ins Gästebad und schloss von innen ab. Im Badezimmer zog sich Miss Parker schnell ihre nasse Kleidung aus und wickelte sich in ein Handtuch. Sie lauschte, als sie die Schritte ihres Vaters hörte, der das Haus gerade wieder verließ. Miss Parker warf einen Blick in den Spiegel. Ihre Haare waren noch nass. Ins Handtuch eingewickelt lief sie in den Flur und öffnete die Tür.

„Daddy“, rief sie. Mr. Parker wollte gerade ins Auto steigen.

„Engelchen, da bist du ja.“ Er stieg wieder aus und kam ins Haus. „Wieso hast du nicht auf mich gewartet?“, fragte er.

„Och“, Miss Parker tat unschuldig, „mir war so langweilig. Da bin ich nach Hause gegangen.“

Ihr Vater glaubte ihr und ging in die Küche. Aber Miss Parker stellte sich ihm in den Weg

„Daddy, können wir nicht zu Giovanni gehen?“

„Nein, mein Engelchen, ich bin zu müde.“ Er ging auf den Tassenschrank zu.

„Ach, bitte Daddy“, quengelte sie und nahm seine Hand, die schon am Griff des altmodischen Küchenschranks lag. Sie blickte ihn mit großen Augen an.

„Ist sowieso nichts im Kühlschrank.“ Sie nickte mit dem Kopf zum Kühlschrank hin. Mr. Parker überlegte kurz.

„Also gut, Engelchen, ich wollte eh nur einen Kaffee. Der ist bei Giovanni ziemlich gut“, sagte er und zog sich sein Jackett wieder über.

 

Im Center, 22 Uhr

Jarod stoppte die Spülmaschinenpumpe und öffnete die Klappe zum x-ten Mal. Der Schaum war schon weniger geworden, aber noch nicht ganz verschwunden. Jarod holte also wieder den Schwamm und holte so gründlich wie möglich jede kleine Schaumflocke aus dem Spülinnenraum. Den Boden hatte Jarod gewischt und auch die Scherben entfernt.

„Nein“, hörte er Sydney ruhige Stimme aus dem Vorraum. „Nein, Michelle, du weißt doch wie das im Center ist.“

 Es entstand eine Pause, als Michelle am anderen Ende etwas sagte.

„Doch, doch, morgen können wir uns sehen, nur nicht den ganzen Tag. Vormittags bleibe ich noch hier.“

Jarod schloss die Klappe der nun wieder sauberen Spülmaschine. Sydney telefonierte weiter und schielte zu Jarod rüber.

„Hm“, sagte er, „Hm.“ Dann drehte er sich mit dem Rücken zu Jarod. Jarod wusste, sie redeten über ihn. Während Sydney weiter seiner Gesprächspartnerin zuhörte, wandte er sich Jarod wieder zu. Als er sah, das Jarod nicht weiterarbeitete, zeigte Sydney auf den Topf. Jarod ging zur Spüle, kippte das Wasser aus dem Topf und begann angebrannte Kartoffeln vom Boden zu kratzen. Sydneys Stimme war durch das laute Schrubben nicht mehr zu verstehen. Dann legte Sydney auf.

Bevor Sydney von dem eingehenden Anruf unterbrochen worden war, hatte er angefangen die persönlichen Gegenstände der Mitarbeiter in eine Kiste zu packen und diese auf einer Liste zu notieren. Er überlegte sich, dass es dann für Jarod einfacher wäre, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sydney schüttete eine halbvolle Kaffeetasse, die ein Mitarbeiter hier stehengelassen hatte, ins Waschbecken und stellte sie in die Spülmaschine. Jarod legte den gespülten Topf ins Regal und Sydney ließ den letzten Gegenstand in der Kiste verschwinden. Es war das Foto, das Jarod betrachtet hatte, bevor Miss Parker kam. Sydney sah sich um.

„Jarod, das hast du gut gemacht. Ich denke, jetzt ist es Zeit, ins Bett zu gehen.“ Jarod nickte. Sydney nahm die Kiste.

„Morgen früh komme ich wieder“, sagte Sydney, „dann wiederholst du das Experiment und schreibst die Protokolle, in Ordnung?“

„In Ordnung, Sydney“, antwortete Jarod. Sydney brachte Jarod in sein Zimmer und schloss die Tür hinter ihm.

 

Nachts, Parkers Haus

Miss Parker öffnete die Tür ihres Zimmers und schlich am Schlafzimmer ihres Vaters vorbei. Der alte Dielenboden schien nachts noch lauter zu knarren als tagsüber. Am Garderobenhaken durchwühlte sie die Manteltasche ihres Vaters. In seiner Brieftasche fand sie, was sie suchte: eine weiße Plastikkarte ohne jeglichen Aufdruck und einem schwarzem Magnetstreifen. Sie steckte die Karte in die Tasche und verließ das Haus.

 

Im Center, Jarods Zimmer, nachts

Die kleine Metallabdeckung neben der Tür von Jarods Zimmer hing nur noch an einer Schraube und zeigte ein Nest aus kleinen bunten Kabeln dahinter, von denen einige heraushingen. Mit einer Zange knipste er den Draht durch und entfernte ein Stück der Isolierung. Dasselbe machte er mit einem anderen Kabel. Als Jarod die beiden Kabelenden zusammenhielt, ertönte das vertraute Surren an der Tür. Er zog sie auf, kniff die Augen zusammen und hoffte sehr, dass es niemand gehört oder gesehen hatte. Er steckte den Kopf hinaus. Auf dem Flur war niemand zu sehen. Dann rannte Jarod ins Labor, in dem er am Nachmittag gearbeitet hatte.

Die Kamera deaktivierte er, in dem er die Stromzufuhr durch schnitt. Er holte das Geschirr der Parkers aus dem Versteck und begann es Stück für Stück in die Spülmaschine einzuräumen. Während die Maschine lief, suchte Jarod aus dem Lager Stofffetzen, Zeitungspapier und Luftpolsterfolie. Größere Stoffbahnen schnitt er sich zurecht. Die erste Ladung des gereinigten Geschirrs packte er in die Schubkarre und legte die Zwischenräume mit Stoff und Zeitungpapier aus. Jarod prüfte sein Werk. Selbst als er die Schubkarre die Treppenstufe hinunter fuhr, hörte man nur das Geräusch des Gummireifens auf Stein, aber kein klapperndes Geschirr.

Jarod lief mit dem Wagen zu der Tür, durch die er eigentlich nicht gehen durfte. Sie war mit einem Feueralarm gesichert, aber Jarod entsicherte sie. Dann öffnete er die schwere Brandschutztür einen Spalt und lugte hindurch.

Ein Wächter lief den leeren Flur entlang und gab den Status durch sein Funkgerät durch: „Zentrale an SL-17. Bitte kommen.“

„Zentrale hört. Bitte kommen.“

„Alles ok bei den Laboren. Bitte kommen.“

„Habe verstanden. Ende.“

Dann verschwand er um die nächste Ecke. Jarod steckte seinen Kopf aus der Tür. An der Decke sah er sofort eine Kamera, die sich bewegte. Schnell zog Jarod den Kopf zurück, mit einem leisen Klick schloss er die Tür wieder. Er hoffte, dass die Kamera ihn nicht aufgenommen hatte. Er blickte auf den Schubkarren.

Nein, so wird das nichts, dachte er. Aus Sydneys Büro holte er eine Schere und schraubte damit das Schutzgitter vom Lüftungsschacht. Dann kroch er hinein. Nach einem Meter versperrte ihm ein Drahtzaun den Weg. Mit der Schere knipste er ihn weg und kletterte bis in die oberirdischen Stockwerke.

 

Parkdeck des Centers

Miss Parker erreichte das Center und lief ins Parkhaus. Mit der Zugangskarte ihres Vaters öffnete sie die Tür. Dann lief sie endlose Flure entlang und ging zu den Aufzügen, die in die unterirdischen Etagen führten. SL-17 drückte sie und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Als Miss Parker auf SL-17 ausstieg, war der gesamte Flur dunkel. Nur die grünen Notausgangsleuchten machten gerade genug Licht, um nicht zu stolpern. Sie lief an dem Wegweiser vorbei auf dem „Naturwissenschaftliche Labore“ stand.

Sie öffnete die Tür, durch die sie heute Nachmittag geflohen war. Als sie ins Labor kam, war alles blitzblank. Nichts war mehr von dem Chaos zu sehen, dass sie heute Nachmittag angerichtet hatten. Miss Parker suchte im Biolabor nach der Schubkarre. Sie war verschwunden. Miss Parker überlegte. Ob Jarod verraten hatte, dass sie bei ihm gewesen war? Wenn ja, warum hatte ihr Vater nichts gesagt? Und wo war das Geschirr?

Auch in Sydneys Büro und im Simulationslabor fand sie den Wagen nicht. Miss Parker plante Jarod zu fragen. Aber zu seinem Zimmer reichte die Autoritätsstufe der Zugangskarte nicht aus. Im Safe ihres Vaters jedoch lag eine weitere Karte. Mit einer höheren Autoritätsstufe.

 

Miss Parker lief nach Hause.

 

Am hinteren Notausgang des Centers

Obwohl er es hätte wissen müssen, war Jarod doch etwas enttäuscht zu sehen, dass es dunkel war, als er die schwere Feuertür öffnete und nach draußen trat. Eine leichte Brise blies ihm ins Gesicht. Es roch nach Salz, Gras und Erde. Jarod kannte diese Gerüche, aber durch die jahrelange Isolation nahm er sie besonders intensiv wahr. Er blickte nach oben und betrachtete die Sterne. Er hörte dem Rauschen des Grases auf den Deichen zu, das vom Wind hin und her geschaukelt wurde. Aber dann fiel ihm ein, warum er hier war und Jarod begann zu laufen.

Alles was Jarod wusste, war, dass Miss Parker nicht weit vom Center entfernt wohnte. Jarod rannte über den Deich zu der einzigen Straße, die vom Center wegführte. In dem kleinen Städtchen lief er von Haus zu Haus, um herauszufinden, in welchem die Parkers wohnten.

„Hier wohnen die Donovans“ stand auf einem großen Kieselstein und ein lachendes Gesicht war daneben zu sehen. Jarod lief zum nächsten Haus. Dort gab es keinen Hinweis auf die Bewohner.  Auch am Gartenzaun und am Briefkasten stand nichts.

Jarod rüttelte vorsichtig am Gartentor, aber es war verschlossen. Der hölzerne Gartenzaun ging Jarod bis zur Brust. Jarod setzte den Fuß auf die Querverstrebung und schwang sich darüber. Als er einige Schritte auf das Haus zugemacht hatte, ging plötzlich das Licht an. Ein bellender Hund raste mit hoher Geschwindigkeit auf Jarod zu und jemand im Haus öffnete das Fenster. Jarod rannte zurück zum Gartenzaun, der Hund dicht hinter ihm. Jarod kniff die Augen zu und erwartete, dass der Hund ihm ins Bein biss. Aber der Hund wurde wie von einer unsichtbaren Wand aufgehalten. Er bellte, knurrte, sprang auf und ab und fletschte die Zähne. Jarod dreht sich um und sah, dass der Hund an einer Kette festgebunden war und ihn nur wenige Zentimeter von Jarod fernhielt.

„Hey, was willst du auf meinem Grundstück!“, schrie ein Mann aus dem Fenster und dann fügte er noch ein Wort hinzu, dass Jarod noch nie gehört hatte. Jarod sprang über den Zaun, warf sich flach auf den Boden und rutschte auf dem Bauch hinter einen Busch, als der Mann am Fenster Schüsse aus einem Gewehr abfeuerte.

Der Mann hörte auf zu schießen. Als Jarod hörte, wie sich die Tür des Hauses öffnete, stand er blitzschnell auf und rannte die Straße zurück zum Center, ohne sich noch einmal umzublicken.

 

Vor dem Haus der Parkers

Als Miss Parker an ihrem Haus ankam, sah sie, dass das Licht in der Küche an war. In der Ferne hörte sie den Hund der Carlsons bellen. Dann ging das Licht wieder aus. Sie lief durch den Garten zum Hintereingang, der in die Küche führte und hoffte, ihr Vater hatte, wie er es üblicherweise tat, die Milch direkt aus der Verpackung getrunken und war nicht auf die ungewöhnliche Idee gekommen, sich ein Glas zu nehmen. Vermutlich war ihre Mutter die einzige Parker, die für Milch ein Glas benutzte. Plötzlich hörte sie Schüsse. In der Küche ging das Licht wieder an. Schnell duckte sich Miss Parker und presste sich ganz eng an die Hauswand unter dem Küchenfenster. Ihr Vater hatte das Fenster geöffnet. Neugierig schaute er zum Haus der Carlsons. Der Hund aufhörte zu bellen, Mr. Parker zuckte mit den Schultern und schob das Fenster wieder zu. Als Miss Parker ihren Vater die Treppen nach oben steigen hörte, öffnete sie leise die Tür und schlich ins Haus. Aus dem Tresor ihres Vaters im Wohnzimmer holte sie seine Ersatzschlüsselkarte und eilte wieder zurück zum Center.

 

 

Straße zum Center

Jarod war schon auf halbem Weg zurück zum Center und hatte seine Schritte schon verlangsamt, da sah er von weitem zwei Lichter.

Ein Auto!, dachte er sofort und mit diesem Gedanken gleich mehrere desasterorientierte Vorstellungen darüber, wer der Fahrer des Wagens sein könnte.

War es der Hausbesitzer, der ihn verfolgte? Hatte er seinen Hund dabei? Hatte das Center schon bemerkt, dass er nicht in seinem Zimmer war?

Jarod sah sich nach rechts und links um. Der Wagen war gefährlich nahe und gerade bevor der Lichtkegel Jarod erfasste, sprang er in das Maisfeld und lief und lief. Die langen Maisstangen schlugen ihm ins Gesicht, sodass Jarod seine Arme vors Gesicht hob und seinen Blick nach unten hielt. Maisstange für Maistange gab nach und Jarod war schon sehr tief ins Maisfeld gerannt, fühlte sich aber noch nicht sicher genug. Er blickte nach hinten, um zu sehen, ob ihn jemand verfolgte, da prallte er plötzlich gegen etwas Hartes, das ihn mit viel Schwung umwarf.

„Aua!“, rief das Hindernis. Jarod hob den Kopf und stützte sich auf seine Ellenbogen, um zu sehen, wer gesprochen hatte. Ihm gegenüber auf ihrem Hintern, die Beine langgestreckt saß Miss Parker und hielt sich den Kopf.

„Jarod!?“ Miss Parker war mehr als überrascht. Sie hatte ihren Freund noch nie außerhalb des Centers gesehen. „Was machst du hier draußen?“

„Ich habe Sie gesucht, Miss Parker. Ich wollte Ihnen Ihr Geschirr zurückbringen, aber ich kann den Aufzug nicht benutzen. Ich krieg den Wagen nicht die Treppe hoch“, erklärte Jarod, während er sich aufrappelte. Er half Miss Parker auf.

„Jarod, bist du verrückt? Das gibt richtig Ärger.“ Miss Parker wunderte sich, wie eifrig Jarod ihr bei einer Idee half, die sie schon längst bereute.

Miss Parker und Jarod liefen zurück ins Center.

„Wo ist eigentlich das Geschirr?“, fragte Miss Parker.

„Im Treppenhaus, Notfalltreppe Süd-Ost“, antwortete Jarod. „Das ist der einzige Weg nach draußen, den ich kenne“, erklärte er.

 

Jarod und Miss Parker holten das Geschirr aus dem Center und liefen die Straße zurück zu Parkers Haus. Jarod schob den Wagen. Die leichte Morgendämmerung machte die Sterne fast unsichtbar. Ein rotgoldener Lichtstreifen schob sich zwischen die schwarzen Wolkenfronten und das Meer. Jarods Schritte wurden immer langsamer. Obwohl er das Meer und die Sonne aus Büchern und seiner Kindergartenzeit kannte, war er von ihrer Größe und Schönheit ergriffen. Das Licht, dass er dort am Horizont sah, erfüllte ihn mit einer sehnsuchtsvollen Stimmung.

„Jarod, wir müssen uns beeilen. Es wird schon hell“, meckerte Miss Parker. Jarod riss sich davon los, die Wunder der Natur mit Ehrfurcht zu betrachten. Er konzentrierte sich auf den Wagen, bis sie an Miss Parkers Haus ankamen. Miss Parker lief vor und winkte Jarod hinter das Haus.

„Hier wohnen Sie, Miss Parker?“, fragte Jarod.

„Psst, ja“, flüsterte sie und legte ihm die Finger über die Lippen. Sie öffnete die Küchentür ohne Hektik, um Geräusche zu vermeiden, die ihren Vater wecken könnten.

„Es ist viel kleiner als das Center“, flüsterte Jarod, der das Haus betrachtete. Es war mit vielen kleinen Spielereien, Stuck, Erker und anderen Dingen gebaut, die Jarod bewunderte.

„Natürlich, du Genie! Hier wohnen ja auch nur drei Personen. Und jetzt sei leise! Mein Vater schläft dort oben.“ Miss Parker zeigte mit dem Finger auf ein Fenster und begann Teller vom Wagen in die Küche zu tragen. Jarod hielt den Wagen noch fest und blickte zum Fenster. Er konnte sich nicht vorzustellen, wie Mr. Parker schlafend aussah und bei dem Gedanken daran, dass er Jarod hier entdecken würde, wurde ihm ganz schwindlig.

„Hilfst du mir oder was?“ Miss Parker klang ärgerlich. Jarod stellte schnell die Schubkarre ab und begann Geschirr mit einzuräumen. Das Haus war mit vielen Gegenständen eingerichtet, die Jarod noch nie gesehen hatte. Trotz seiner Neugier versuchte er, sich nicht davon ablenken zu lassen und folgte Miss Parkers knappen Anweisungen wie: „Das kommt da hin“ oder „Die Teller hier rein.“ Schließlich legte Miss Parker Gabel für Gabel, Messer für Messer und Löffel für Löffel in die Schublade. Jarod stellte den letzten Teller in den Schrank und lief nach draußen. Inzwischen war es hell geworden und Jarod sah, dass der weiche Boden, auf dem er stand, grün war. Grünes Gras! Wie auf dem Foto, das Jarod im Labor mehrmals betrachtet hatte. Er ging ehrfürchtig in die Hocke und befühlte das Gras. Es fühlte sich nass und kalt an. Er streichelte das Gras und ließ die Halme zwischen seine Fingern gleiten. Das Gefühl in seiner Hand weckte eine Erinnerung in ihm:

Er sah eine Frau mit langen, roten Haaren. Sie war groß und schlank und hing weiße Laken auf eine Wäscheleine. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Er rannte an ihr vorbei und ließ seinen Papierflieger durch die Luft schweben bis dieser im grünen Gras landete. Er hob ihn auf, dabei berührten seine Finger das Gras. Jarod begann einige Halme auszurupfen und roch daran.

„Jarod“, sagte die Frau mit den roten Haaren. Ihre Stimme war mild und sanftmütig.

„Mama, es riecht so gut“, sagte ein einige Jahre jüngerer Jarod und wollte seiner Mutter das Gras zum Schnuppern reichen. „Jarod!“, sagte Miss Parker gedämpft, aber mit Nachdruck.

Jarod wachte aus seinem Tagtraum auf und ein Gefühl der Beschämung überkam ihn, als er da so im Gras kniete und ein Büschel davon in der Hand hielt.

Miss Parker starrte ihn an und empfand – Mitleid. In diesem Moment wurde ihr klar, dass ihr Spielkamerad Jarod ein unschuldig Gefangener war. Ein Kind im Gefängnis. Aber im selben Augenblick fiel ihr ein, dass seine Gefängniswärter keinen Spaß verstehen würden, wenn aus seiner Zelle verschwunden war.

„Jarod, schnell, wir müssen zurück!“

Jarod rappelte sich auf, als die beiden das schabende Geräusch von Holz auf Holz hörten. Mr. Parker hatte sein Schlafzimmerfenster nach oben geschoben. Entsetzt blickten die beiden Kinder nach oben. Hektisch kramte Miss Parker in ihren Taschen. Sie drückte Jarod eine weiße Plastikkarte in die Hand.

„Hier, Jarod, lauf! Damit kommst du in dein Zimmer.“

Jarod lief. Die Angst, dass sein Verschwinden entdeckt wurde, schwappte in immer stärker werdenden Wellen in ihm hoch. Deshalb rannte Jarod sehr schnell und ohne sich umzudrehen zum Center zurück.

Mit der Karte, die Miss Parker ihm gegeben hatte, konnte er mit dem Fahrstuhl direkt ins Sublevel fahren, ohne dass jemand seine Fahrt unterbrechen konnte. Obwohl das kaum notwendig war, da so früh an einem Sonntag, selbst im Center, kaum jemand unterwegs war.

 

Außer Sydney.

 

Er war bereits auf dem Weg zu Jarods Zimmer, um ihn abzuholen. Aber der Fahrstuhl war belegt. Er drückte den Knopf mehrmals und wunderte sich. Schließlich blieb ihm nicht anderes übrig als zu warten, bis der Fahrstuhl, der offenbar von einer Person mit einer hohen Autoritätsstufe benutzt wurde, freigegeben wurde.

Jarod erreichte gerade sein Zimmer, die Tür stand noch offen. Jarod schraubte so schnell wie möglich mit zwei Schrauben die Abdeckung wieder an, versteckte das Werkzeug hinter seinem Bett und legte sich hinein. Verschwitzt, außer Atem und den Kopf voller neuer, frischer Eindrücke und Gedanken war es schwer, einen schlafenden Jarod vorzutäuschen. Gerade als Jarod sich mit dem Gesicht zur Wand gedreht hatte und die Decke zurechtgenestelt hatte, surrte seine Tür und Sydney kam herein. „Jarod, wach auf“, sagte er freundlich. Normalerweise wurde Jarod von seinen Wächtern geweckt, die ein kurzes „Aufstehen!“ knurrten und dann verschwanden. Leider hörte er Sydney näher ans Bett kommen.

„Jarod, bist du wach?“, fragte Sydney und fasste Jarod an die Schulter. Jarod drehte sich auf den Rücken und blickte Sydney an. Sydney sah den schwitzenden Jarod, der einen roten Kopf hatte und dessen Brustkorb sich schnell hob und senkte und das, obwohl Jarod versuchte, mit aller Macht normal zu atmen. Sydneys Blick wandelte sich in Status „Besorgt“.

Sydney war sofort klar was passiert war: „Hattest du wieder Albträume?“

Jarod nickte. Sydney glaubte, dass seine Gegenwart Jarod beruhigte und sprach weiter mit freundlicher Stimme: „Komm. Wenn du geduscht und gefrühstückt hast, bringe ich dich ins Labor.“ Sydney reichte ihm die Hand und Jarod ließ sich aus dem Bett helfen. Sydney wunderte sich, warum Jarod in seiner Uniform geschlafen hatte, sprach ihn aber nicht darauf an. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ließ Jarod sich zurück auf Bett sacken, hielt sich die Hände vors Gesicht und blies hörbar die angehaltene Luft aus seinen Lungen.

 

Das Triumvirat by shaack

 

Am Vormittag wiederholte Jarod das misslungene Experiment im Chemielabor. Sydney saß telefonierend in seinem Büro. Die schönen Bilder waren verschwunden und Labor-Funktionalität kam nun zur Geltung. Jarod fand das Experiment langweilig und so langsam forderte der verpasste Schlaf sein Recht ein. Jarod befühlte die Karte, die er von Miss Parker bekommen hatte, in der Hosentasche. Er überlegte. Es gab nur eine Möglichkeit Sydney und Mr. Parker von seiner Lüge zu überzeugen, dass Miss Parker nicht bei ihm gewesen war.

 

Sydneys Büro/Miss Parkers Haus, Sonntagmorgen

Catherine Parker klemmte sich das Mobiltelefon zwischen Kopf und Schulter, als sie die Tür aufschloss und den Koffer über den Treppenabsatz ihres Hauses trug.

„Ach nein, das glaube ich nicht. Welches Kind will das schon?“, sagte sie in ihr Telefon.

 Sie ging ins Wohnzimmer, aber weder ihr Mann noch ihre Tochter waren dort.

 

„Er hat das Labor demoliert und versucht die Spülmaschine kaputtzumachen“, erklärte Sydney am anderen Telefon und fuhr verzweifelt fort: „Catherine, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.“

 

Sie ging in die Küche und nahm sich eine Tasse aus dem Schrank.

„Also, ich weiß zwar nicht, was er gegen Spülmaschinen hat, aber, Sydney, er ist doch noch ein Kind.“ Sie sah ihre Tochter und flüsterte ins Telefon: „Meine Tochter macht sowas ständig.“ Mit einer Hand holte sie einen Kaffeelöffel, die Kaffeebox und schaufelte Instantpulver in eine Tasse, während sie ihm zuhörte.

„Sicherheit oder Kontrolle, Sydney?“ Sie füllte die Tasse mit Wasser.

„Ja“, seufzte sie, „ich weiß“, und stellte sie in die Mikrowelle. „Ja, gut. Bye!“

 

Miss Parker saß draußen auf der Küchentürtreppe und starrte nachdenklich in den Garten. Ihre Mutter pirschte sich von hinten an ihre Tochter heran und sagte:

 „Buh!“

„Hallo, Mama“, sagte Miss Parker lahm.

„Die Begeisterung darüber, dass ich wieder da bin, scheint sich in Grenzen zu halten.“ Catherine setzte sich neben ihre Tochter auf die Stufe. „Was gibt’s hier schönes zu sehen, außer das grüne Gras“, zog Catherine sie auf.

„Ach, Mama, ich glaube, ich habe jemanden in Schwierigkeiten gebracht.“

„In der Schule?“, hoffte Catherine, denn sie wusste, dass mit dem Center nicht zu spaßen war.

„Ja“, log Miss Parker. „Ich habe eine Freundin, die hat für eine andere Freundin die Hausarbeiten gemacht.“

„Ach wie nett“, antwortete Catherine trocken.

„Und dabei ist was kaputtgegangen.“

 

Währenddessen im Center

Jarod betrat den Technikraum, der nur durch eine Glaswand vom Flur getrennt war. Niemand war hier. Drei mannshohe Server blinkten und ihre Kühler summten leise. Die Rechner auf den Arbeitsplätzen waren mit einem Wust aus Kabeln miteinander verbunden. Ganz hinten stand ein großer Aktenschrank mit Jalousieverschluss. Jarod schob die Jalousie auf. Die Aktenschränke waren mit Karteiboxen gefüllt. Aber statt Karteikarten befanden sich in den grauen Kästchen tausende von kleinen, silbernen Scheiben, auf denen Daten gespeichert waren. Das waren die Digitalen Simulations Archive, kurz DSA genannt. Jarod sah sich die Beschriftungen an.

Sie waren nach Aufnahmeort sortiert. SL-5, SL-19, SL-21, Sim-Lab I, Sim-Lab II, Tower…

Jarod war erstaunt, dass all diese Dinge tatsächlich aufgehoben wurden. Er nahm aus Neugier eine Kiste auf der SL-21 stand, das Stockwerk auf dem sich sein Zimmer und das Simulationslabor befanden. Auf den kleinen Discs las er: >Jarod; März 1989< davon gab es 10 Discs, die von einem Plastikkärtchen von dem nächsten Schwung getrennt waren, auf welchem stand: >Jarod; April 1989

Jarod öffnete den Koffer und sah, dass es sich um ein Abspielgerät für die DSAs handelte. Im Koffer befanden sich ebenfalls DSAs. Diese hatten ihre eigene Ordnung und waren mit kleinen Notizzetteln beschriftet:

>Jarod – wichtige Simulationen 1991-1994, Jarod – Schlüsselsituationen Entwicklung 1987-1994, Jarod – Beste Lösungsansätze 1991,1992, 1993, 1994

Jarod klappte den Player wieder zu und überlegte, wo er das DSA von gestern finden würde. Schließlich fand er, was er suchte: SL-17 Naturwissenschaftliche Labore. Er klappte die Discs nach vorne und las die Daten. März, April, Mai … doch statt der gesuchten DSA fand Jarod einen Zettel. „Die Aufnahmen 06-13-1994 ab 12:00 Uhr bis 6-14-1994 werden im Archiv des Projektes „Pretender“ unter Projektname „Jarod“ abgelegt.“ Der Text war ein Vordruck, nur die Daten und Projektnamen waren handschriftlich eingetragen. Jarod fühlte sich klein, als er sich selbst als ein Projekt wahrnahm. Schließlich fand er die Aufnahme in den grauen Karteiboxen, in denen er zuerst nachgesehen hatte und wollte sich schleunigst auf den Weg nach unten machen, als er Schritte hörte.

„Hallo?!“ Eine Frau betrat den Technikraum. „Haalloo?!“, fragte sie noch einmal. „Lenny, bist du da?“ Sie lief quer durch den Raum und schaute in die kleine Küche, die mit Kaffeeringen übersäht war und in der viele angefangene Müslipackungen standen. Dann zuckte sie mit den Schultern und ging zu dem Schrank mit den DSAs. Mit einem Krachen schob sie die Jalousie nach unten. Dann schloss sie sie ab und legte den Schlüssel in einen Blumentopf auf dem Schrank.

„So viel zum Thema: Sicherheit empfindlicher Daten“, murmelte sie und ging davon. Jarod saß unter dem Schreibtisch. Die DSA hielt er mit der Hand fest an die Brust geklemmt, in der er sein Herz deutlich zu schnell schlagen hörte. Jarod lugte unter dem Schreibtisch hervor. Der Technikraum schien leer zu sein. Er kroch aus seinem Versteck, als ihn jemand am Kragen packte.

„Verdammt, wo kommst du denn her?“, fluchte ein Mann mit langen Haaren und Brille. Auf seinem Namenschild, das auf seinem Flanellhemd steckte, stand: „Lenny“

 

Parkers Haus

Catherine Parker trank den letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse und wunderte sich. Auf dem Boden der Tasse sah sie Buchstaben. Sie spülte den Rest aus und las: „Eigentum des Centers.“ Sie nahm die Tasse in die andere Hand und tatsächlich, auf der Rückseite sah sie das Center-Emblem. Sie überlegte wie diese Tasse in ihre Küche kam, als das Telefon klingelte.

 

Sydneys Büro/Parkers Haus

Sydney lief aufgeregt hin und her bis Catherine abnahm. „Catherine“, platzte er heraus, „dein Mann will, dass Jarod vor das Triumvirat geführt wird.“

 

 „Was, wegen ein bisschen Schaum in einer Spülmaschine?!“, fragte Catherine ungläubig.

„Nein, darum geht es nicht. Er ist aus den Sublevels ausgebrochen und hat im Technikraum ein DSA gestohlen.“

„Wie ist das möglich? Die Türen sind sicher.“

„Er hatte eine Universalschlüsselkarte mit dem höchsten Autoritätslevel. So eine wie sie eigentlich nur…“

„…mein Mann hat“ ergänzte Catherine.

„Genau, er muss sie ihm geklaut haben.“

Catherine betrachtete die Tasse in ihrer Hand. Da ging ihr etwas auf.

„Sydney, warte mal.“

Miss Parker kam hinzu und sah wie ihre Mutter den Safe durchwühlte. Diese nahm das Telefon wieder auf.

„Er hat wirklich das Triumvirat eingeschaltet?“, fragte Catherine. Miss Parker erschrak.

„Sydney, ich komme sofort ins Center!“

Sie legte auf, suchte ihren Autoschlüssel und zog eine Jacke an.

„Mama“, sagte Miss Parker, „ich komme mit.“

„Nein!“

„Mama!“ Miss Parker zögerte kurz und sagte dann mutig: „Ich bin’s gewesen, nicht Jarod.“

„Ich weiß“, antwortete Catherine unbeeindruckt.

„Warum darf ich dann nicht mit?“

„Weil du zwei Wochen Hausarrest hast.“

„Aber Mama,…“

„Drei Wochen!“ Catherine schaute ihr streng in die Augen.

Miss Parker sagte nichts mehr.

 

Isolationszelle SL-21

Jarod saß auf der Pritsche, die der einzige Einrichtungsgegenstand in dem kahlen Raum war. Graue Betonwände und eine armeegrüne Eisentür umgaben Jarod, als sich diese quietschend öffnete. Zwei Wächter in dunklen Anzügen und mit finsteren Blicken packten Jarod an den Armen und schleppten ihn hinaus. In einem spärlich beleuchteten Raum setzten sie ihn an das lange Ende eines T-förmigen Tisches. Drei große Schatten saßen ihm gegenüber. Ihre Gesichter konnte er nicht erkennen.

„Jedes Verbrechen wird bestraft“, sagte einer der Schatten.

Der andere Schatten fragte: „Hast du unerlaubt das Sublevel verlassen?“

„Ja, aber doch nur, weil-“, stammelte Jarod, da öffnete sich hinter ihm die Tür. Die Wächter brachten Miss Parker in den Raum und führten sie in einen Nebenraum.

„Hast du den Sublevel unerlaubt verlassen?“, fragte der Schatten noch einmal.

„J…j..ja“, stotterte Jarod.

„Jedes Verbrechen wird bestraft“, sagte der dritte Schatten. Jarod hörte Miss Parkers Schreie aus dem Nebenraum.

„Nein!“, schrie er und sprang auf. „Ich war das doch, ich habe das doch getan!“

Wieder öffnete sich die Tür. Die Wächter brachten Sydney.

„Hast du Mr. Parker bestohlen?“, fragte wieder einer der Schatten. Sydney blickte Jarod ausdrucklos an.

„Jarod“, sagte er, „Jarod, wach auf!“

 

Jarod schreckte hoch und stellte fest, dass er in der Isolationszelle war. Sydney stand neben der Pritsche und sah in sorgenvoll an.

„Wir müssen jetzt“, sagte Sydney traurig. Jarod stand auf. Vor der Zelle warteten Mr. Parker und ein Wächter.

 

„Momentmal!“, rief Catherine Parker. Die Gruppe drehte sich um.

„Catherine, was machst du denn hier?“, wunderte sich Mr. Parker.

„Schatz, du machst einen Fehler. Bitte, schau in deine Brieftasche.“

„Catherine, was soll das denn? Wir sollten uns lieber nicht so viel Zeit lassen.“

„Bitte sieh nach!“, sagte sie mit Nachdruck.

Mr. Parker gab nach. Er zeigte ihr die Brieftasche und Catherine angelte seine Universalschlüsselkarte heraus. Jarod beobachtete das aufmerksam. Mr. Parker war perplex.

„Junge, wo hast du die Karte her?“

„Jarod, hat gar nichts damit zu tun“, sagte Mrs. Parker.

„Wer dann?“

„Unsere Tochter.“

Mr. Parker schwieg.

„Und, willst du sie auch ans Triumvirat verpfeifen?“, forderte Catherine ihren Mann heraus. „Hast du dir schon mal angesehen, was hier drauf ist?“, fragte Catherine weiter und riss Sydney das DSA aus der Hand und hielt es hoch.

 

Simulationslabor, einige Minuten später

Sydney schaltete den Projektor aus und das Licht wieder an. Aus der Ecke hörte man ein Schluchzen. Es war Jarod. Catherine setzte sich sofort zu Jarod.  Mr. Parker schaute verlegen weg.

„Jarodschätzchen, warum weinst du?“

Sydney diskutierte derweil mit Mr. Parker.

Jarod schluchzte weiter.

„Jarod, diese Karte. Hat Miss Parker sie dir gegeben?“, fragte Catherine sanftmütig.

Jarod nickte.

„Darf ich sie jetzt nie mehr wiedersehen?“, fragte er zögernd.

Catherine blickte zu Sydney und ihrem Mann.

„Und dafür sind Sie in Zukunft verantwortlich!“, Mr. Parker zeigte mit dem Finger auf Sydney und verließ dann das Zimmer.

„Natürlich, darfst du sie wiedersehen.“ Catherine nahm Jarod in den Arm. „Du musst dich nur drei Wochen gedulden.“

 

Parkers Haus, drei Wochen später

Miss Parker füllte eine Gießkanne mit Wasser. Sie lief in ihr Zimmer und goss ein Stück Rasen, welches sie in einen Blumentopf gepflanzt hatte. Dann packte sie den Blumentopf in eine Plastiktüte. Mit ihrem Päckchen in der Hand stand Miss Parker auf der Schwelle der Haustür.

„Und du meinst, Jarod freut sich über so etwas?“, fragte ihre Mutter.

„Ja, ich glaub schon“, Miss Parker lächelte für sich.

„In Ordnung, du darfst gehen.“

Kaum hatte Catherine Parker diese Worte ausgesprochen, rannte Miss Parker los und lief zum Center.

Ende

 

 

 

End Notes:

Thank you to my Beta-reader A. and for reviews.

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