Table of Contents [Report This]
Printer Chapter or Story Microsoft Word Chapter or Story

- Text Size +

Rechtliche Hinweise: Die bekannten Charaktere der Fernsehserie The Pretender gehören wie jeder weiß MTM und NBC. Also dient meine kleine Geschichte keinerlei kommerziellen Zwecken, sondern dient nur der Unterhaltung... und zur Überbrückung der Wartezeit auf Neues von unserer beliebten Fernsehserie.
Spoiler: Bis zum Ende der vierten Staffel .




Der Pakt
© by Foxee

Kapitel 5







24. April, Miss Parkers Büro

Miss Parker saß an ihrem Schreibtisch und blätterte lustlos in einigen Unterlagen. Wie schon so häufig in letzter Zeit schweiften ihre Gedanken ab - zu Jarod. Und jedes Mal, wenn sie sich dabei ertappte, hätte sie sich am liebsten selbst in den Hintern getreten. Doch es änderte nichts.

Das Gespräch mit ihm war jetzt 4 Tage her. Sie war seitdem nicht mehr in seinem Raum gewesen... sie wollte vermeiden, daß die Gerüchteküche, die ohnehin schon kräftig brodelte, noch weiter angeregt wurde. Und sie wollte vermeiden, daß sie... nun ja...

Sie mußte zugeben, daß sie ein wenig Angst hatte vor den Gefühlen, die Jarod in ihr weckte. Obwohl das eigentlich lächerlich war!! Sie, die Eisprinzessin, hatte Angst vor irgend etwas... und noch dazu vor einem Gefühl! Doch es war nicht das Gefühl selber, vor dem sie sich fürchtete, sondern daß sie es nicht kontrollieren und vor allem nicht abstellen konnte. Es machte sie schwach - zumindest redete sie sich das ein. Natürlich wußte sie es eigentlich besser. Doch all die Jahre im Centre, all die Predigten ihres Vaters, davon, daß Gefühle ein Zeichen von Schwäche sind und nur die Starken überleben... all das und noch mehr in ihrem Leben ließen sie dieses Gefühl, so angenehm es auch sein mochte, fürchten.

Sie wurde von einem Klopfen an der Tür aus ihren Gedanken gerissen.

"Kommen sie rein, Broots!"

Der Techniker steckte seinen Kopf zur Tür herein und schaute sie überrascht an. "Woher wußten sie, daß ich es bin?"

"Nun, mein Vater kommt nie hierher, mein Bruder klopft nicht an und Sydney's Klopfen klingt irgendwie... anders. Also blieben ja nur noch sie."

Broots schloß die Tür hinter sich und kam zum Schreibtisch. "Nun, es hätte auch noch einer der Sweeper sein können."

Miss Parker verschränkte die Finger ungeduldig. "Die klopfen energischer, wenn es um wichtige Dinge geht, oder warten vor der Tür, bis ich rauskomme, wenn es nicht so wichtig ist. Also, was gibt es, Broots?"

Der andere war etwas verwirrt, besann sich dann aber auf die Unterlagen unter seinem Arm und überreichte sie ihr wortlos.

Miss Parker hob fragend eine Augenbraue und begann in den Papieren zu blättern. "Ist es das, wofür ich es halte?"

"Es ist ein fertiger Abschlußbericht über den Fall." bestätigte er.

Sie blätterte noch ein wenig weiter und ihre Überraschung wuchs. "Broots! Das ist ja wirklich erstaunlich. Und vor 5 Tagen sagten sie noch, daß sie in einer Sackgasse feststecken. Und jetzt überraschen sie mich mit einem abgeschlossenen Bericht. Und was ist das?" Sie legte das oberste Bündel beiseite und überflog das zweite. "Sie sind in SEINEN Computer gehackt und haben alle seine Daten kopiert???" Sie lachte auf. "Ich wette, der hat ganz schön blöd aus der Wäsche geguckt. Na ja, es ist nur dumm, daß ihn das natürlich nervös gemacht hat. Ich wette, ein Sweeper-Team würde dort nur noch leere Räume finden. Aber egal, sollen sie halt ‚den Dreck wegräumen'"

Sie blätterte durch die Auflistung der kopierten Daten und nickte einige Male anerkennend. "Mir scheint, da war aber einer fleißig. Er hat sich sogar bei Regierungsrechnern bedient. Hm... Jetzt fehlt nur noch eine Analyse, wie er durch das Centre-Sicherheitssystem kommen konnte."

"Ähm... Letzte Seite." warf Broots kleinlaut ein.

Miss Parker schaute verwundert auf und blätterte zur letzten Seite. Schließlich legte sie alle Unterlagen zur Seite und schaute Broots anerkennend an. Doch der trat verlegen von einem Bein auf das andere.

"Ok, was ist los?" fragte Miss Parker.

"Der Bericht..." druckste er herum. "Der... der Bericht ist nicht von mir." So, jetzt war es raus. Und er fühlte sich auch gleich besser.

Miss Parker blieb erstaunlich ruhig. "Und von wem ist er dann?"

"Jarod."

Miss Parker nickte, sagte aber nichts. Das erklärte natürlich einiges.

Broots fuhr fort, erleichtert, ihr alles erzählen zu können. "Er muß von Sydney gehört haben, daß ich in der Sache nicht weiterkomme und daß die Centre-Führung sie und mich unter Druck gesetzt hat. Da hat er wohl selbst ein paar Nachforschungen angestellt."

"Ich verstehe. Und warum stehen sie dann vor mir wie ein verschüchterter Schuljunge?"

"Nun, wissen sie... Es war ja sein Verdienst, daß wir den Hacker aufgespürt haben und... Ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken."

Miss Parker lächelte ihn an. Broots war einfach zu ehrlich und zu bescheiden um ein Lob zu akzeptieren für anderer Leute Arbeit. Das war einer der Gründe, weshalb er im Centre nie die Macht- und Karriereleiter erklimmen würde - aber auch der Grund, weshalb sie ihn, trotz aller seiner Fehler und Macken, als Mitarbeiter und Freund schätzte. Nur würde sie ihm das nie sagen!!

"Und was sagt Jarod dazu?"

Überrascht schaute er sie an. "Wie meinen sie das? Ich, ähm, ich hab noch gar nicht mit ihm gesprochen, seit er wieder hier ist."

"Nun, er hat den Bericht in ihrem Namen geschrieben."

Broots nickte. Das hatte er auch schon gesehen. Und: Jarod hatte den Bericht in SEINEN Raum bringen lassen und nicht in das Büro von Miss Parker.

"Ich denke, er möchte, daß sie den Bericht in ihrem Namen abgeben."

Broots blieb skeptisch.

"Außerdem," fuhr sie fort, "hat er schließlich auf IHRER Vorarbeit aufgebaut. Machen sie sich keine Sorgen. Jarod ist nicht so kleinlich. Wenn er Leuten hilft, dann macht er es gerne und hat auch keine Hintergedanken dabei - ganz im Gegensatz zu den Leuten im Centre."

Broots nickte. Ihm war Jarod immer ein Rätsel gewesen. Einerseits hatte er Angst vor ihm, andererseits aber den allergrößten Respekt. Er bewunderte ihn, nicht nur wegen seiner Intelligenz, sondern vor allem, daß er es geschafft hatte trotz all der Jahre im Centre ein guter Mensch zu bleiben und anderen mit Freundlichkeit zu begegnen.

"Haben sie sonst noch etwas auf dem Herzen, Broots?" fragte Miss Parker.

"Ähm, nein..."

"Dann schlage ich vor, sie bringen den Bericht zu meinem Bruder und sagen ihm, daß meine... unsere Aufgabe hiermit erledigt ist und daß ich es ihm überlasse, vor Ort aufzuräumen." Damit wandte sie sich wieder anderen Papieren auf ihrem Schreibtisch zu.

Broots sammelte alle seine Unterlagen zusammen und verließ ihr Büro. Obwohl er immer Angst vor Mr. Lyle hatte, freute er sich dieses mal ein wenig auf ihr Zusammentreffen. Nun konnte er nicht mehr auf ihm herumhacken. Das Fall war geknackt. Gut, Jarod hatte den Löwenanteil gemacht, aber er beschloß, Mr. Lyle gegenüber nichts zu erwähnen. Miss Parker hatte vielleicht recht... vielleicht wollte Jarod ihm damit eine Freude machen... und ein Vergnügen würde es sein, Mr. Lyle's Gesicht zu sehen.

In ihrem Büro betrachtete Miss Parker mit einem verschmitzten Lächeln, wie Broots beschwingt den Raum verließ. Sie grinste und schüttelte den Kopf. ‚Jarod!'










27. April, das Centre, SL 13

6:45 Uhr. Jarod kam aus dem Badezimmer, nur mit einem Handtuch um die Hüften. Sein erster ‚Arbeitstag' im Centre als einer ihrer ‚Angestellte'. Er stöhnte innerlich auf. Wie hatte es nur so weit kommen können? ER arbeitete für das Centre! Irgendwie glaubte er nicht daran, daß sich etwas ändern würde im Vergleich zu den 30 Jahren, die er hier verbracht hatte. Im Schrank hingen dieselben Klamotten, im Simulationsraum erwarteten ihn dieselben Gesichter und dieselben Aufgaben... Sein Leben würde so trostlos sein wie früher... und so grau wie Sachen, die er widerwillig aus dem Schrank nahm. Je länger er sie anstarrte, desto verhaßter wurden sie ihm. Sie repräsentierten alles, was er hinter sich lassen wollte. Aber was sollte er tun? Also warf er sie mit einem weiteren Stöhnen aufs Bett und zupfte an seinem Badetuch...

...und stopfte den freien Zipfel jäh wieder an seinen Platz als er ein energisches Klopfen an der Tür hörte. Er warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Es war eigentlich zu früh, um ihn abzuholen. Seine Arbeit begann gewöhnlich um 7:30 Uhr. Na ja, wer auch immer da vor der Tür war, er würde ihn ja wohl nicht halbnackt mitnehmen wollen. Aber andererseits war ihm das im Moment auch egal, so sehr war seine Stimmung an diesem Morgen in den Keller gerutscht.

Mit einem, "Was ist denn?" zog er die Tür schwungvoll auf.

Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, DIESE Person vorzufinden.

"Na das ist mal eine Begrüßung für die es sich lohn, früher aufzustehen..." begrüßte ihn eine überraschte - zugegebenermaßen angenehm überraschte - Miss Parker und ließ ihren Blick unverhohlen über seinen muskulösen Körper wandern.

Rasch schloß er die Tür wieder ein Stück und verbarg sich hinter ihr. Ihm war die Situation ziemlich peinlich.

"Oh, sind wir neuerdings schüchtern?" fragte Miss Parker mit dunkler Stimme und sah ihn durch ihre langen Wimpern hindurch verführerisch an.

"Ich... hatte nicht damit gerechnet, daß sie es sind." antwortete Jarod schnell. Jetzt war es sich SICHER, daß sie mit ihm spielte... und er war im Moment nicht in der richtigen Position, um zu kontern.

"Dann würde mich mal interessieren, WEN sie denn erwartet haben..." schnurrte Miss Parker weiter. Sie genoß es offensichtlich, ihn in eine Ecke gedrängt zu haben.

"Niemanden! Ich... Was wollen sie?" Ihm stand der Sinn absolut nicht nach Konversation, während er halbnackt hinter einer Tür geduckt stand.

Miss Parker zeigte Erbarmen und reichte ihm zwei große Tüten durch die Tür.

"Was ist das?" fragte Jarod erstaunt.

"Für sie. Ist ja schlimm genug, daß ich auf Broots keinen Einfluß habe... da will ich nicht, daß noch einer meiner Mitarbeiter als wandelnde Katastrophe rumläuft. Glauben sie nicht, das sei ein Geschenk. Es wird ihnen selbstverständlich vom Gehalt abgezogen!"

Jarod schaute verwirrt auf die Tüten und dann wieder auf sie. Er wunderte sich, was sie mit ‚wandelnder Katastrophe' meinte. Natürlich konnte er nichts wissen von den Streitereien, die es immer wieder zwischen Miss Parker und Broots gab, weil ihr sein ‚Modestil' nicht gefiel.

Miss Parker machte auf dem Absatz kehr. "Ich muß noch eine Akte wegbringen. In 10 Minuten bin ich wieder da. Wenn sie dann nicht fertig sind, gehe ich alleine Kaffeetrinken." Damit marschierte sie in Richtung Aufzüge davon.

Jetzt klappte Jarod wirklich der Kiefer runter. Sie wollte mit IHM Frühstücken gehen?? Das würde er sich ganz sichern nicht entgehen lassen!!

Miss Parker war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, Jarod zur Cafeteria mitzunehmen... - es war sogar eine hervorragende Idee. Erstens konnte dann jeder gleich sehen, zu WEM er ab jetzt gehörte, und diesen Triumph über ihren Bruder wollte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. Und zweitens war somit sicher gestellt, daß er und auch alle anderen - vorzugsweise die übereifrigen Sweeper anderer Leute - gleich wußten, was er durfte und was nicht.

In seinem Raum hatte Jarod die beiden Tüten jetzt aufs Bett gelegt und begann, eine von ihnen auszuräumen. Er war ziemlich überrascht, als er eine schwarze Jeans herauszog. Mit fragend erhobener Augenbraue schaute er zur Tür - stellvertretend für Miss Parker - und legte die Jeans beiseite. Nach und nach holte er noch eine weitere schwarze Jeans, zweite schwarze und zwei weiße T-Shirts und ein schwarzes Hemd heraus. Er mußte grinsen... wollte sie ihm damit irgend etwas sagen?

Die zweite Tüte war schwerer. Seine Augen wurden immer größer als er hineingriff. Schließlich hielt er eine schwarze Lederjacke in den Händen. Sie sah der, die er selbst einmal besessen hatte sehr ähnlich. Mit sicherem Blick bemerkte er, daß es sich dabei durchaus nicht um ein billiges Stück handelte. Er legte sie vorsichtig zur Seite. Als letztes kam noch eine kleinere Tüte zum Vorschein. In ihr fand er Haarspray, Haargel und einige andere kleine Utensilien.

Na ja, vielleicht würde dieser Tag ja doch nicht so furchtbar werden, wie er gedacht hatte. Der Anfang war zumindest schon mal vielversprechend.

Ein Blick auf die Uhr überzeugte ihn davon, daß er sich lieber beeilen sollte. Also zog er sich schnell um und verschwand noch einmal im Badezimmer.

10 Minuten später klopfte Miss Parker wieder an seine Tür. "Ich gehe jetzt!"

Ohne eine Antwort abzuwarten ging sie schon mal vor. Besonders weit war sie allerdings nicht gekommen, als sie eine Stimme hinter sich hörte.

"Na so was, so was. Haben sie vielleicht Probleme mit ihrem neuen Mitarbeiter?"

Das hatte ihr jetzt noch gefehlt. "Wie kommen sie denn darauf, Lyle?" Langsam drehte sie sich um.

"Na ja, bis jetzt konnte unser Goldjunge ja auf der faule Haut liegen." Lyle kam noch näher. "Aber was machen sie, wenn er keine Lust hat, zu arbeiten?"

"Dieses Problem stellt sich bei mir nicht!" konterte Miss Parker scharf.

Inzwischen blieben immer mehr Mitarbeiter um sie herum stehen und lauschten gebannt.

"Ach nein? Und wie kommen sie darauf? Denken sie, sie werden mehr Glück bei ihm haben bloß weil sie..."

"Das ist nicht mehr ihre Angelegenheit, Lyle. Also halten sie sich da raus!" Miss Parkers Augen blitzten gefährlich.

"Ich denke, da irren sie sich." drohte Lyle.

"Und ICH denke..." ließ ihn eine dunkle Stimme von hinten herumfahren, "sie hat recht."

Lyle hatte ja vieles erwartet, aber DAS nicht. Jarod stand vor ihm ganz in Schwarz gekleidet, mit teurer Lederjacke und - sah er da richtig? - gestylten Haaren... und einem provozierenden Glühen in den Augen. Er ging ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, an ihm vorbei und stellte sich neben Miss Parker.

"Entschuldigen sie meine Verspätung."

Obwohl sie überrascht war, ließ sich Miss Parker nichts anmerken. Betont kühl entgegnete sie: "Das mir das nicht noch einmal passiert!"

Trotz ihrer Bemühungen sah Jarod das triumphierende Leuchten in ihren Augen. Also antwortete er brav: "Nein, Ma'am."

Diesmal war das Getuschel, das um sie herum entstand, Balsam für Miss Parker. Es folgte noch ein kurzes, stummes Kräftemessen zwischen ihr und ihrem Bruder, bei dem sie sich einfach anstarrten, bis Mr. Lyle sich schließlich wutentbrannt umwandte und ohne ein weiteres Wort verschwand.

Erst danach drehte sich auch Miss Parker um und marschierte mit Jarod im Schlepptau zum Fahrstuhl.

Das war noch besser gewesen, als sie es sich ausgemalt hatte!

‚Sieg auf der ganzen Linie!!' sinnierte auf der Fahrt nach oben. Und Lyle war davongezogen wie ein geprügelter Hund!

Plötzlich bemerkte sie, daß Jarod sie amüsiert anstarrte.

"Vorsicht, Miss Parker. Das wäre ja fast... ein Lächeln geworden." neckte er und drehte sich grinsend weg.

Auf einmal fühlte sie sich ertappt. Er hatte recht, innerlich hatte sie so triumphiert, daß er das wohl bemerkt hatte. "Und?" fragte sie wieder gereizt.

"Nichts."

Der Fahrstuhl hielt an und er kam ihr näher, als er ihn verlassen wollte. Leise, so daß nur sie es hören konnte, raunte er: "Es steht ihnen gut."

Am liebsten hätte sie ihn dafür laut beschimpft, aber nun waren sie von mehreren Leuten umgeben, so daß sie sich lieber ihren Kommentar verkniff. Verdammt, das hatte er ja mal wieder gut arrangiert.

Vor der Cafeteria wurden sie schon von Broots und Sydney begrüßt.

‚Na, da hab ich ja ein tolles Team.' dachte Miss Parker bei sich, als die ganze Gruppe den Raum betrat, während Jarod und Broots unbefangen über Computer-Zeug redeten.

Miss Parker stellte sich natürlich als erste in die Schlange. Sie bestellte nur einen starken Kaffee und die Frau hinter dem Tresen, die ihre Wünsche schon kannte, schüttete ihr aus einer ‚Spezialkanne' eine Tasse ein. Sydney wollte einen normalen Kaffee und ein belegtes ‚Gesundheitsbrötchen'.

Broots schaute sich die Auslagen sorgfältig an und entschied sich schließlich für ein doppelt belegtes Käsebrötchen und ein Wurst-Sandwich.

"Meinen sie, das wird bis zum Mittagessen reichen?" fragte Miss Parker schnippisch.

"Uhm, ich habe eben morgens immer viel Hunger." verteidigte sich der Techniker.

Die wahre Freude machte Miss Parker aber Jarod. Er studierte sämtliche Auslagen, und zwar so genau, als wären sie die Schaltpläne eines neuen Raketentyps. Eigentlich hätte sie ja schon gehen können, um sich einen Platz zu suchen, aber das Schauspiel faszinierte sie irgendwie. Es wurde immer besser, als sie Sydneys mißmutiges Schnaufen hörte über Jarods deutliches Interesse an der Abteilung für Süßspeisen. Also stellte sie ihren Kaffee ab und verschränkte belustig die Arme vor der Brust.

"Und was wollen sie haben, junger Mann?" fragte die inzwischen auch etwas belustigte Frau hinter dem Tresen. Jarods kindliche Freude an ihrem Nachtisch-Angebot öffnete ihm sofort den Weg zu ihrem Herzen - und bei ihrer Statur hatte sie ein sehr großes Herz - vor allem für Naschkatzen!

"Haben sie vielleicht Eiscreme?" fragte Jarod mit Unschuldsmiene.

"Eiscreme?" wiederholte die Frau verwirrt.

"Eiscreme???" kam auch ein etwas gequetschter und empörter Ausruf von Sydney.

Jarod nickte und strahlte sie an. "Ich liebe Eiscreme!!"

"Zum Frühstück?" fragte die Frau skeptisch.

"Warum nicht. Wissenschaftlich gesehen stecken sehr viele Kohlenhydrate, Calcium und Proteine in Eiscreme."

Sydney schnaubte, Broots gluckste und auch Miss Parker mußte sich auf die Zunge beißen, um nicht loszulachen.

"So so." Die Frau wußte nicht so recht, was sie von dem Mann, der vor ihr stand halten sollte. Sie hatte ja schon eine Menge schräger Typen hier im Centre gesehen, aber der Kerl übertraf sie irgendwie alle. Ob die hier vielleicht Experimente machten, in denen sie das Wachstum so beschleunigten, daß ein Neunjähriger aussah wie ein Erwachsener? "Nun, Eiscreme habe ich heute leider nicht."

Sein hoffnungsvolles Gesicht fiel in sich zusammen.

"Und es steht diese Woche auch nicht auf dem Plan..." überlegte sie weiter.

Oh man, mit der Schnute die er jetzt zog, hätte sie ihn auf der Stelle adoptiert... egal wie alt er in Wirklichkeit sein mochte.

"Aber... ich könnt' ja mal ein Auge zudrücken und was bestellen... Sozusagen kleine Extrawünsche für Spezialkunden." Sie zwinkerte ihm schelmisch zu.

"Ehrlich?"

"Na klar doch. Welche Sorten denn?" sie holte Block und Stift aus ihrer Tasche.

"Alle" war die knappe Antwort.

Jetzt mußte Miss Parker doch grinsen, während sich Sydneys Stirn immer mehr verfinsterte.

Die Frau sah Jarod verblüfft an und lachte schallend los. "Hätt' ich mir ja eigentlich denken können."

"Nur keine Pistazie." fügte Jarod rasch noch hinterher.

Die Frau nickte und notierte die kleine Einschränkung, dann packte sie alles wieder weg. "Und was darf es dann heute sein?"

Jarod studierte noch mal die Theke. "Also, ich hätte gerne was von dem Wackelpudding... den roten und den grünen... und dann noch 5 Doughnuts... zwei mit rose Glasur, einen mit Puderzucker und zwei mit Schoko... hm... und zwei Croissants..."

"Die normalen oder die mit den Schoko-Enden?" fragte die Frau grinsend.

Jarod grinste zurück, diese Frau verstand ihn. "Mit den Schoko-Enden bitte. Und dann noch ein Stück von dem Streuselkuchen und dem Apfelkuchen. Danke."

"Und was möchten sie zu trinken?"

Er schaute sie lächelnd an. "Sagen sie doch einfach Jarod zu mir," Er schielte auf ihr Namensschild. "Ellen."

"Ok, Jarod. Also wir haben heißen Kakao, Kaffe oder verschiedene Sorten Tee. Kalte Getränke stehen dort drüben in den Kühlschränken."

"Ich denke, ich nehme einen Kaffee. Mit Milch und Zucker, bitte."

Plötzlich stockte er und sah zu Miss Parker rüber. "Ich hab ja gar kein Geld."

"Das ist kein Problem." Miss Parker drückte ihm ein Kärtchen in die Hand. Es war ein Ausweis, der ihn als Mitarbeiter des Centres identifizierte. Auf einen weiteren fragenden Blick von Jarod schob Miss Parker ihn einfach zur Kasse. Die Frau, die dort die ganze Zeit gewartet hatte, lächelte ihn an, nahm ihm seine neue Karte einfach aus der Hand, las den Zahlencode mit ihrem Gerät ab und gab ihm die Karte zurück.

"Ah so. Muß ich diese Karte denn jetzt immer bei mir haben?" fragte Jarod.

"Bei mir nicht." meldete sich die Frau hinter dem Tresen wieder, und mit einem Zwinkern fügte sie hinzu: "Gute Kunden merke ich mir, die werden an der Kasse gespeichert."

"Danke." Jarod schnappte sich sein übervolles Tablett - es war eindeutig nicht groß genug für Leute mit Hunger - und folgte den anderen zu einem leeren Tisch, etwas abseits der anderen Mitarbeiter.

Während Jarod sich auf den Streuselkuchen und den grünen Wackelpudding stürzte, saßen und aßen die anderen schweigend und schauten ihm zu.

Sydney konnte schließlich nicht länger still leiden. "Dreißig Jahre gesunde Ernährung für die Katz!"

Jarod schaute kurz hoch und biß dann herzhaft in einen Schoko-Doughnut.

"Ach kommen sie, Sydney. Nur gesundes Zeug... das ist doch langweilig auf die Dauer." mischte sich Broots ein.

"Was heißt den ‚langweilig'? Es war nur das beste Essen, zusammengestellt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen." protestierte Sydney.

"Das heißt: pürierte Artischockenherzen und Weizenkleie zum Frühstück. Kein Salz, kein Zucker, keine Gewürze." erklärte Jarod mit ruhigem Tonfall an Broots gewandt. Der verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

"Und es war MEHR als nur langweilig!" bemerkte Jarod noch an Sydney gerichtet, bevor er sich ein Croissant nahm.

Sydney machte ein beleidigtes Gesicht darüber, daß Jarod seine Bemühungen offensichtlich nicht zu schätzen wußte.

"Zugegeben..." mischte sich nun auch Miss Parker ein, die bis jetzt nur an ihrem Kaffee genippt hatte. "Aber meinen sie nicht, sie übertreiben es ein wenig? Ich meine, auf ihrem Teller liegen mehr Kalorien als sie in einer Woche verbrauchen."

Jarod schaute auf sein Tablett, überschlug die gängigsten Kalorientabellen und verglich sie mit den durchschnittlichen Werten, die ein Mensch bei normaler Arbeit pro Tag verbraucht und sagte schließlich: "Das stimmt nicht ganz. Allein mit den Sachen auf diesem Tablett könnte man den Verbrauch eines durchschnittlichen männlichen Erwachsenen für etwa 1 Tag 6 Stunden und 34 Minuten decken. Rein statistisch, natürlich."

Miss Parker rollte die Augen und setzte wieder ihre Tasse an die Lippen. Mit einem Genie zu diskutieren war einfach sinnlos.

"Andererseits..." setzte Jarod wieder an und schaute sie dabei direkt an. "Ist es wissenschaftlich erwiesen, daß es sehr ungesund ist, Kaffee auf nüchternen Magen zu trinken."

"Ich frühstücke nie."

"Nun, das sollte sie aber. Wäre auch besser für ihren Magen."

Sie setzte die Tasse ab und fixierte Jarod. "Mit meinem Magen wäre alles in Ordnung, wenn es sie nicht gäbe!"

"Denken sie das? Ich halte es eher für eine Folge von Streß und ungesundem Lebensstil."

"Ungesunder Lebensstil???"

Jarod wußte nicht sicher, ob er sich jetzt nicht zu weit über die Klippe beugte, aber er wollte auch nicht klein beigeben. "Mit dem Rauchen haben sie ja schon aufgehört, was ich für sehr vernünftig halte."

Wäre Broots nicht im Weg, dann hätte Miss Parker Jarod für diese Bemerkung sicherlich einen Fußtritt verpaßt, von dem er noch lange etwas gehabt hätte.

"Aber..." fuhr er unbeeindruckt fort, "sie sollte mehr essen. Und gesünder essen. Ein schwarzer Kaffee kann doch kein Frühstück ersetzen."

Miss Parker lachte auf, doch es war kein fröhliches Lachen, mehr eine Kampfansage. "Sie sind der Richtige, mir etwas über gesunde Ernährung zu erzählen. Ich wette zum Mittagessen gab es bei ihnen in den letzten 4 Jahre meist nur Fast-Food."

"'Meist' ist übertrieben... aber auch, ja." antwortete Jarod ruhig. "Nur wird mich dieses bißchen Fast-Food nicht umbringen."

Seine siegessichere Gelassenheit brachte sie auf die Palme. Ok Bürschchen, ich kann auch anders. Da ist ein Strategiewechsel angezeigt.

"Ich soll also mehr essen." begann sie, jetzt mit einem ruhigen, säuselnden Tonfall, der Jarod anzeigte, daß er in ernsthaften Schwierigkeiten stecken könnte. Sie erhob sich halb und lehnte sich quer über den Tisch zu ihm herüber in einer Art und Weise, die ihm, ohne daß er es beabsichtigte, durchaus ‚tiefere' Einblicke ermöglichte - nicht viel, aber genug um ihn nach Luft schnappen zu lassen. Er merkte plötzlich, daß sein Mund sehr trocken wurde. "Soll das heißen, daß ich zu mager bin... zu dürr? Wolltest du das sagen?"

‚Himmel hilf!' er merkte, daß ihre tiefe, verführerische Stimme und der laszive Blick, den sie ihm zuwarf, bei ihm ein Kribbeln im untersten Drittel seinen Bauches hervorrief... und es konnte leicht passieren, daß es noch ein Stück tiefer rutschte. ‚Konzentrier' dich auf etwas anderes!!' rief ihm sein Verstand zu. Ihr Blick prickelte seinen Nacken herab, als hätte sie ihm einen Eiswürfel in den Kragen gesteckt. Diese blauen Augen... sie hypnotisierten ihn.

Er senkte den Blick um sich von ihnen loszureißen. Oh oh, keine gute Idee. Die Aussicht, die er jetzt hatte machte sein Problem nur noch schlimmer. Also schaute er schnell wieder auf.

‚Armer Junge.' dachte Miss Parker gehässig. Das war IHR Spiel, keiner beherrschte es so gut wie sie. Auch wenn er ein Genie war, hier war er nur ein blutiger Anfänger. Zeit, die Sache zu beenden, bevor sein Kopf so rot wurde, daß er platzte.

Seit Anfang ihres ‚Gespräches' hielt er den Doughnut mit dem Puderzucker in der Hand. Sie streckte ihren Arm aus und nahm im dem Kringel aus der Hand. Dabei ließ sie ihre Finger über seine streichen und registrierte befriedigt, wie seine Finger bei ihrer Berührung zuckten. Sie hob den Kringel vor das Gesicht und beobachtet - immer noch mit ‚diesem' Blick - wie ein Teil des Puderzuckers begann, von einer Seite des Gebäcks zu rieseln.

Jarod mußte aufpassen daß er seine Zunge nicht verschluckte, als sie den Doughnut langsam vor den Mund hob und bedächtig mit der Zunge den über den Rand rieselnden Teil des Puderzuckers ableckte. Dabei schaute sie ihm die ganze Zeit in die Augen.

Schließlich konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Sie biß herzhaft in den Kringel und unterdrückte ein Lachen, als Jarod dabei zusammenzuckte. Mit einem siegessicheren Blick setzte sie sich wieder hin und aß den ganzen Kringel.

Jarod war immer noch verwirrt über das Schauspiel.

Sydney hatte das Spektakel mit väterlichem Erstaunen und Interesse verfolgt und Broots konnte sich ein SEHR breites Grinsen nicht verkneifen. Er war sich allerdings nicht sicher, ob ihm Jarod leid tun oder ob er ihn lieber beneiden sollte.

Miss Parker kaute schon auf dem letzten Stück ihres ergatterten Gebäckes, als Jarod endlich seine Sprache wiedergefunden hatte. "Schön daß wir jetzt etwas gefunden haben, daß ihnen offensichtlich schmeckt."

Sie antwortete nicht, sondern sah ihn nur noch einmal an, trank ihren letzten Schluck Kaffee und stand auf. "So, ich mach' mich an die Arbeit. Sydney, wir sehen uns heute nachmittag zur Besprechung in meinem Büro. Also dann."

Damit war sie verschwunden. Die drei Männer schauten ihr hinterher. Schließlich konnten es sich Broots und Sydney nicht verkneifen, Jarod anzusehen und zu grinsen. Broots gluckst vor sich hin.

Jarod verstand nicht ganz. "Denkst du, sie ist sauer auf mich?" fragte er Sydney besorgt.

Der räusperte sich und versuchte wieder ernst zu schauen. "Nein Jarod, das denke ich nicht."

Jarod sah weiter skeptisch aus.

"Warum sollte sie sauer sein, sie hat ja schließlich gewonnen." vervollständigte Broots, der seine Chefin und ihre Launen inzwischen auf recht gut kannte.

Jarod versuchte das Gesagte zu verarbeiten. Sie hatte gewonnen? Also hatte sie seine Bemerkung als Herausforderung aufgefaßt und hatte entsprechend reagiert... nun, nicht daß er auch nur eine Sekunde damit gerechnet hätte, daß sie so reagieren würde. Betrachtete man es so, dann hatte Broots recht. Man, es gab offensichtlich noch einiges, das er lernen mußte.

"Jarod! Du träumst mit offenen Augen." bemerkte Sydney amüsiert und riß ihn damit aus seinen Gedanken. "Wir wollen heute noch mit der Arbeit anfangen. Also solltest du dein... ähm ‚Frühstück' beenden."




15 Minuten später standen die beiden im SimLab, dem Raum, den Jarod am meisten von allen haßte. Sydney breitete gerade einige Umschläge auf dem Tisch aus.

"So, du kannst wählen zwischen: einem entführten Jungen in Texas; einem unbekannten grippeähnlichen Erreger, der die Bevölkerung in einer Kleinstadt in Iowa plagt und dort schon eine regelrechte Epidemie ausgelöst hat; dem mysteriösen Tod eines Offiziers in Kentucky; und schließlich einer Anfrage für eine Überarbeitung der Pläne für ein neuartiges Passagierflugzeug mit der Bitte, die Sicherheit der Fluggäste durch zusätzliche Verbesserungen zu erhöhen." zählte Sydney auf.

Jarod sah sich jede Akte an. "Dieses letzte Projekt... bringt dem Centre sicher Geld ein, oder?"

Sydney nickte. "Dieses und auch das zweite... mit dem Grippe-Erreger. Auch wenn das Centre diesen Menschen, die akut betroffen sind den Impfstoff umsonst zur Verfügung stellt, so wird es doch dafür und für die Informationen über den Erreger vom Gesundheitsministerium bezahlt werden."

Jarod nickte. Es war, wie Mr. Smith es ihm gesagt hatte. Einige Projekte brachten dem Centre Geld ein, andere Prestige. Die Chefetage legte mehr Wert auf das erste... Er mußte also schauen, daß er ein Gleichgewicht herstellte, damit diese Leute nicht meinten, er würde ihnen nichts einbringen und ihm die ‚wertlosen' Projekte strichen. Und außerdem war auch dieses zweite Projekt wichtig, weil er damit vielleicht Menschenleben retten konnte. Das letzte Projekt konnte warten. Und auch der tote Offizier würde ihm nicht weglaufen. Zuerst mußte er mal den Lebenden helfen!

Er hustete und fischte ein Hustenbonbon aus seiner Hosentasche.

Sydney sah ihn aufmerksam an. "Wir werden heute nicht zu lange arbeiten. Du brauchst immer noch Ruhe."

‚Komisch, daß immer alle so auf meine ‚Ruhe' bedacht sind.' dachte Jarod in Anlehnung an sein Gespräch mit Miss Parker und mußte lächeln.

"Schon gut, Syd. Ich bin ok. Ich melde mich schon, wenn etwas ist." beruhigte er seinen Mentor.

Sydney wußte jedoch genau, daß Jarod, wenn er einmal in seinem ‚Pretend' war, nicht mehr voll mitbekam, was mit seinem Körper passierte. Auch früher war es häufiger mal vorgekommen, daß er ihn über sein Limit heraus beansprucht hatte und schließlich zusammenbrach.
Doch dafür war er ja hier... um Jarod zu leiten und auf ihn aufzupassen.

Der Vormittag ging rasch um und schnell stellte sich wieder eine Routine zwischen den beiden ein. Zum Mittagessen begleitete ihn Sydney, doch sehr zu Jarods Enttäuschung leistete ihnen Miss Parker dieses Mal nicht Gesellschaft. Also blieb ihm nur sein alter Mentor, der ihn wiederum belehrte, daß eine Portion Nachtisch völlig ausreichte. Jarod ließ sich davon nicht beeindrucken, als er seinen dritten Pudding aß - schließlich gab es ja auch drei verschiedene Sorten... und wie sollte er herausfinden, welche ihm am besten schmeckte, wenn er sie nicht alle probierte?

Der Nachmittag verlief ebenso ereignislos, wie der Vormittag. Jarod vertiefte sich in seine Projekte, suchte weitere Daten dazu im Internet, unterzog den unbekannten Erreger im Labor einigen Tests uns setzte weitere Versuchreihen für die Nacht an, die er dann am nächsten Tag auswerten wollte. Sydney verschwand zwischenzeitlich für eine Stunde, um sich mit Miss Parker zur Besprechung zu treffen.

Schließlich beschloß Sydney, daß es für einen Tag genug war. Sie waren schon ein gutes Stück voran gekommen und er mußte immer noch bedenken, daß Jarod nicht in Höchstform war.

Sydney verabschiedete sich, da er noch in seinem Büro die Daten eines seiner anderen ‚Schützlinge' auswerten mußte und Jarod stand plötzlich allein auf den Gängen des Centres. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl. Früher wurde er immer von einem oder mehreren Sweepern begleitet, die dafür sorgen sollten, daß er nicht abhaute... oder Sydney paßte auf ihn auf. Nun konnte er selbst entscheiden, wo er hinging. Nur... WO sollte er im Centre schon hingehen wollen? Natürlich wäre er gerne für eine Weile an die frische Luft gegangen, aber das überschritt seinen ‚Spielraum' für den ersten Tag wohl doch... Er beschloß, damit eine zeitlang zu warten und mit Miss Parker darüber zu sprechen.

Fürs erste trottete er wieder zu seinem neuen Lieblingsplatz im Centre - der Cafeteria. Er unterhielt sich ein wenig mit Ellen und machte sich schließlich mit einer kleinen Flasche Kakao und zwei Äpfeln auf den Weg zu seinem Zimmer.

Während er auf dem Bett lag und seinen Apfel aß, dachte er über Miss Parker nach. Er wurde einfach nicht schlau aus ihr. Mal war sie kühl und sogar abweisend und beleidigend, ein anderes Mal nett und mitfühlend... und dann heute... Er mußte grinsen. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß ihr, wenn sie es wollte, die Männer zu Füßen lagen. Aber diese Männer würden nur durch ihre Verführungskünste und ihr Aussehen zu ihr hingezogen. ER wollte mehr, als nur das oberflächliche... ihre wahren Gefühle, auch ihre Ängste, all das, was sie so sehr versuchte vor allen zu verbergen.

Aber was waren ihre Gefühle für ihn? Hatte sie überhaupt welche? Oder waren diese Andeutungen, diese Blicke nur ein Spiel? Ein nichtssagendes Spiel, bei dem es nur darum ging, ihre Macht über Männer zu verdeutlichen. Und wenn das so war, wollte er dann darauf eingehen - und wenn ja, wie?

Er schloß die Augen und beschloß, ein paar Simulationen darüber in seinem Kopf ablaufen zu lassen. Und dann würde er eine kalte Dusche nehmen - er fühlte irgendwie, daß er sie danach brauchen würde.








04. Mai, das Centre

Jarod lehnte sich auf dem harten Stuhl zurück und ließ die Schultern kreisen. Als er schließlich das ersehnte *knack* hörte, schloß er mit einem Seufzen die Augen. Wie lange arbeitete er hier jetzt schon? 15 Stunden, oder mehr. Er wußte es nicht. Dieser Fall war eine echt harte Nuß. Seit dem Frühstück hatten weder er noch Sydney den Raum verlassen, die ganze Zeit versuchten sie, eine Lösung zu finden. Ohne Erfolg bis jetzt. Das Problem war aber auch nicht einfach. Eine Gruppe Terroristen hatte etwa 7 Menschen entführt und an einen unbekannten Ort gebracht. Laut ihren Aussagen würden die Geiseln sterben, wenn ihnen nicht innerhalb von 24 Stunden 50 Millionen Dollar Lösegeld bezahlt würde.

Auf einmal kam ein lautes Grummeln aus Jarods Bauch. Sein Magen beschwerte sich vehement, daß ihm sowohl das Mittagessen, als auch das Abendessen vorenthalten worden waren. Jarod zog eine Grimasse und seufzte. Nicht mal ein Hustenbonbon hatte er noch. Na schön, er hatte schon schlimmeres überstanden... allerdings war ein leerer Magen nicht gerade förderlich für die Konzentration...

Auch Sydney war geschafft. Er massierte mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel und kniff die Augen zusammen. "Was haben wir übersehen, Jarod? Es MUSS noch etwas geben, daß direkt vor unserer Nase ist."

Jarod ließ seinen Blick schweifen über die Unterlagen auf dem Tisch - von fast allen Terroristen kannte er jetzt ihr Privatleben besser als sie selbst - die Notizzettel an der Pinnwand, die Verbindungen zwischen Personen und Orten. Alles war da - aber WAS hatte er übersehen?

Auf einmal stieg ihm der Geruch von Essen in die Nase. ‚Na toll, jetzt fantasiere ich schon...'

"Nun sieh sich einer dieses Trauerspiel an!" kam auf einmal eine Stimme von der Tür her. Da man den Simulationsraum über eine Treppe betreten mußte, stand die Person dort höher als Jarod und Sydney. Sie lehnte am Geländer und schaute auf die beiden herab. "Unser Genie geschlagen von ein paar Typen, die wahrscheinlich nicht mal die Highschool geschafft haben."

Jarod sah auf und erkannte Miss Parker. Sie trug ihr Weinrotes Lederkostüm mit kurzem Rock, schwarzer Bluse und - wie sollte es anders sein - hochhackigen Schuhen.

Jetzt schnappte sie sich eine Plastiktüte und kam mit schwingenden Hüften die Treppe herunter.

Normalerweise hätte Jarod ihr eine entsprechende Antwort gegeben, doch heute war er zu müde und zu frustriert dazu. Also knurrte er nur etwas unverständliches und drehte sich wieder weg.

Sydney versucht es wie immer mit Diplomatie. "Miss Parker, was für eine nette Überraschung. Was führt sie denn hierher?"

"Eigentlich wollte ich nur mal sehen, wie weit sie inzwischen gekommen sind. Außerdem hab ich heute vor lauter Arbeit gar keine Zeit zum Essen gehabt. Und schließlich hat mir ja jemand erzählt, daß das sehr ungesund ist." Sie warf einen Seitenblick zu Jarod, der jedoch noch immer abgewandt saß und sie ignorierte. "Also wollte ich etwas essen gehen. Aber irgendwie hatte ich keine Lust, allein zu Essen. Deshalb..." sie lächelte und setzte die Tüte auf den Tisch, "habe ich etwas vom Chinesen geholt und wollte sie beide fragen, ob sie mir Gesellschaft leisten wollen. Aber wenn sie natürlich kein Interesse haben..."

Jarod war aufgesprungen und stand mit wenigen Sätzen neben dem Tisch und der wohlriechenden Tüte. Neugierig öffnete er sie und schnupperte begierig. "Hm, das riecht hervorragend. Was ist das?"

"Verschiedenes vom Chinesen. Gebackene Shrimps, Ente süß-sauer und ähm, irgendwas mit Erdnußsoße. Sie... sie haben noch nie chinesisch gegessen, oder?"

Jarod schüttelte den Kopf und sog wieder den verführerischen Duft ein. "Aber es riecht sehr gut."

"Es schmeckt sogar noch besser." versicherte Miss Parker mit einem Grinsen und zog sich einen Stuhl an den Tisch. "Wollen wir jetzt stehenbleiben und das Essen beschnuppern bis es kalt ist, oder wollen sie..."

Jarod unterbrach sie hastig. "Oh, mein Magen sagt eindeutig, daß wir es lieber ESSEN sollten." Also räumte er schnell die Unterlagen vom Tisch und legte sie auf eine der anderen Ablagen. Dann stockte er und sah erst Sydney fragend und dann die Unterlagen mit schlechtem Gewissen an.

Doch Sydney schüttelte den Kopf. "Ich finde das eine hervorragende Idee. Wir sollten wirklich etwas essen. Ein leerer Magen behindert den Kopf!" Auch er holte sich einen Stuhl und setzte sich zu Miss Parker. "Vielen Dank."

Miss Parker schaute ihn überrascht an. "Wofür? Ich hab es wirklich so gemeint: Ich hatte keine Lust, alleine zu essen. Und ein Vögelchen hat mir gezwitschert, daß sie beide wohl länger arbeiten würden. Also..." sie zuckte mit den Schultern.

"Ist heute abend nicht ein Bankett der Centre-Chefetage?" fragte Sydney mit einem Schmunzeln. "Sie könnten doch ihrem Vater Gesellschaft leisten."

Miss Parker schnaufte. "Da kann ich mir wirklich etwas schöneres vorstellen, als meinen Vater, Lyle und vielleicht auch noch Raines als Gesprächspartner zu haben."

"Ich fühle mich geehrt, daß sie uns vorziehen." bemerkte Sydney, immer noch mit seinem ‚Psychiater-Lächeln'.

"Außerdem..." Miss Parker schaute zu Jarod rüber. "habe ich mich bei unserem letzten ‚Essen' viel besser amüsiert als bei den Banketts des Centres."

Jarod hob eine Augenbraue. "Da wäre ich nie drauf gekommen." Aber dann lächelte er sie an und ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer.

"Oh, sie wollen mich doch wohl nicht noch mal herausfordern, oder?" fragte sie mit gespielter Kampflust.

Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, daß Jarod darauf eingehen würde. Er warf ihr einen - sie konnte es nicht anders beschreiben - heißen Blick zu, beugte sich zu ihr herüber und sagte mit dunkler, verführerischer Stimme. "Normalerweise... würde ich nichts lieber tun."

Sie erwiderte seinen Blick, hielt ihm stand, doch bezwingen konnte sie ihn diesmal nicht.

Zu ihrem Glück, lehnte sich Jarod wieder zurück und grinste. "Doch wenn sie nichts dagegen haben, verschieben wir das auf später. Wir wollen ja unser Essen nicht kalt werden lassen."

"Hm, große Worte. Aber schauen wir doch erst mal, wie sie mit ihrem Essen fertig werden." damit zog sie mehrere Schachteln aus der Tüte und verteilte sie auf dem Tisch.

"Gibt es denn keine Teller?" fragte Jarod verwirrt.

"Meist ißt man das Gericht direkt aus dem Karton." belehrte sie ihn und drückte ihm schließlich mit einem herausfordernden Lächeln etwas in die Hand.

"Was ist das?" Jarod begutachtete die schmalen Holzstücke.

"Das sind Eßstäbchen." erklärte Miss Parker.

"Damit... ißt man?" er konnte es nicht recht glauben, hielt sie auseinander und wieder zusammen und wurde nicht so recht schlau aus ihrer Handhabung.

Miss Parker grinste. Sie nahm die Stäbchen in eine Hand, suchte sich den richtigen Karton heraus und fischte mit Leichtigkeit einen Shrimp heraus. Nachdem sie ihn kurz von Jarods Nase herumgewedelt hatte, steckte sie ihn sich in den Mund.

Jarod beobachtete sie. Dann nahm er die Stäbchen so in die Hand, wie sie es tat - zumindest meinte er, daß es genauso war. Aber irgendwie funktionierte es bei ihm nicht so recht. Wenn er endlich ein Stückchen Fleisch zwischen den Stäbchen hatte, überkreuzten sie sich und das Stück fiel wieder in die Schachtel. Nach dem fünften Versuch schnaufte er frustriert. Er schaute wieder auf Miss Parker, die ihre Stücke sicher zwischen den Stäbchen geklemmt hatte und sogar das Kunststück hinkriegte, die Shrimps in ein Soßentöpfchen zu dippen ohne, daß sie ihr wegflutschten. Wieder schaute er auf seinen eigenen Karton und seufzte. Er würde vor dem gedeckten Tisch verhungern... wegen dieser verflixten Stäbchen.

Plötzlich war Miss Parker neben ihm. Sie war mit ihrem Stuhl einfach um den Tisch gerollt, weil sie das Schauspiel nicht mehr länger mitansehen konnte. Sie lächelte ihn an und nahm seine Hand in ihre. Dann arrangierte sie die Stäbchen richtig zwischen seinen Fingern. Danach nahm sie ihre eigenen wieder in die Hand und machte es ihm vor.

"So... Siehst du, ganz einfach. Nein, du bist viel zu verkrampft. Laß die Hand locker. Du sollst mit den Dingern ja niemanden umbringen." und sie lachte ihn an.

Jarod war überrascht. Sie lachte. Nicht etwa aufgesetzt und künstlich, nein, sie lachte einfach weil die Situation komisch war. Er wollte aber nicht, daß sie dachte, er würde sie beobachten - dann würde sie schnell wieder ihre Mauern aufbauen. Also konzentrierte er sich auf die Technik, die sie ihm zeigte und siehe da, es funktionierte!

Er nahm seinen Karton wieder in die linke Hand und schaffte es tatsächlich ein Stück herauszufischen und bis in seinen Mund zu befördern. Es schmeckte wirklich hervorragend.

"Hmmm, das ist gut. Sehr gut sogar. Seltsam, daß ich das nicht schon früher mal probiert habe."

Sie lachte wieder über seine Begeisterung. "Na wenigstens kann Sydney diesmal nicht meckern, daß sie nur ungesundes Zeug essen."

Der Angesprochene, der die Vorgänge zwischen den beiden schweigend beobachtet hatte, lächelte über seinen Karton hinweg. "Tja, vielleicht hört er ja auf sie mehr als auf mich."

"Was, soll das heißen kein Nachtisch?" fragte Jarod mit gespielter Empörung.

"Tut mir leid," antwortete Miss Parker mit ebenso vorgetäuschtem Bedauern, "aber die Eiscreme wäre sicherlich geschmolzen."

Jarod zog eine Schnute, dann grinste er breit. "Na, zum Glück habe ich ja noch ein paar Pralinen, PEZ und Plätzchen in meinem Zimmer."

Sydney rollte mit dem Augen.

Miss Parker schüttelte den Kopf. "Wie können sie nur so schlank bleiben bei all dem Junk food, den sie in sich hineinstopfen?"

Jarod warf ihr einen tiefen Blick zu. "Einfach Glück, schätze ich."

Sie legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue. Dann kam sie noch ein Stück näher. "Was... haben sie denn da?"

Jarod überlegte kurz. "Ich denke es ist Ente süß-sauer. Aber viel ist nicht mehr da."

Sie schaute ihn an, schaute kurz auf seinen Karton und sah ihm dann auffordernd in die Augen. Er lachte. "Möchten sie vielleicht ein Stück?"

Ohne eine Antwort abzuwarten, fischte Jarod ein Stück aus seinem Karton, dann stellte er ihn ab um seine linke Hand frei zu haben und schützend unter das schwebende Stückchen zu halten. Langsam näherte er sich ihrem Mund und fütterte sie.

Sie kaute genüßlich und konnte nicht anders als über die Situation lächeln.

‚Warum eigentlich?' schoß es ihr plötzlich durch den Kopf. ‚Warum sitze ich hier und fühle mich so wohl wie schon lange nicht mehr? Und warum lächele ich ihn an, obwohl ich doch die Eisprinzessin bin?'

Sie ließ das Fleisch und auch den Gedanken auf der Zunge zergehen. ‚Ach vergiß es!' beschloß sie schließlich. ‚Vergiß für einen Abend diese dummen Spielregeln. Er hat dir deine unterkühlte Art eh nie abgekauft.'

"Warum lachen sie?" riß er sie aus ihren Gedanken.

"Nun, weil ich mehr das Gefühl habe, ich sitze bei einem ‚blind dinner' anstatt in einem Simulationsraum im Centre." platzte sie heraus und wollte sich selbst am liebsten dafür vors Schienbein treten.

Aber jetzt wollte es Jarod natürlich wissen. "Was ist ein ‚blind dinner'?"

Sie rollte die Augen. "Eine Art ‚blind date' mit Abendessen."

Ein weiterer verständnisloser Blick.

"Eine Verabredung mit einem Unbekannten plus Abendessen. Jetzt klar?"

"Aber warum mit einem Unbekannten? Sie kennen mich doch." fragte Jarod naiv weiter, als ihm plötzlich die Bedeutung klar wurde. Eine Verabredung?!? Ein Date!!! Mit ihm??!!

Miss Parker war seine Frage offensichtlich unangenehm, denn sie hatte sich ja verplappert. "Ich sagte doch nur: als ob."

Jarod nickte und aß schweigend weiter. Trotzdem konnte er sich einen heimlichen Seitenblick zu Miss Parker nicht verkneifen. Und etwas anderes fiel ihm jetzt auf: offensichtlich konnte sich Miss Parker nicht entscheiden, ob sie ihn siezen oder duzen sollte. Es schien, als würde ihr, wenn sie nicht aufpaßte, schon mal ein vertrauliches ‚du' über die Lippen kommen, ohne daß sie es bemerkte. Er hätte gerne mit ihr darüber geredet, aber er wollte es nicht hier machen, unter den Augen von Sydney - und den Kameras natürlich. Doch er nahm sich fest vor, sie darauf anzusprechen.

"Sagen sie mal," begann Miss Parker mit einem Blick zur Pinnwand, "wo liegt eigentlich das Problem mit diesen Terroristen?"

"Ich schätze das Problem mit ihnen ist, daß wir sie nicht finden können." informierte Sydney ruhig.

Miss Parker nickte. Sie schlenderte zum gegenüberliegenden Schreibtisch und überflog einige Unterlagen. Über die Geiseln, die Täter, die Vorgehensweise...

"Ganz schön brutal... Die gehen ja echt mit der Brechstange ans Werk." kommentierte sie.

"Mit der Brechstange?" Jarod sah sie verständnislos an. Nach seinen Informationen hatten sie vor allem Schußwaffen benutzt.

"Eine Redewendung." erklärte Sydney kurz und machte sich mental eine Notiz, seinem Schützling mehr über die ‚Umgangssprache' beizubringen.

Miss Parker murmelte etwas vor sich hin, von dem Jarod immer nur Bruchstücke aufschnappte. "... auch Kinder... 4 Schwerverletzte... flohen in einem... älteres Baujahr... Farbe silbermetallic... oh nein, eine Frau ist im 8. Monat schwanger."

Als sie zurück kam waren ihre Wangen vor Zorn gerötet und ihre Augen glühten. Jarod konnte gut verstehen, daß ihr Bruder einmal zu ihr gesagt hatte, daß sie im Zorn noch hübscher aussieht... das hatte er aber nicht von ihr, sondern von Angelo gehört. Wenn man über den neuesten Klatsch und Tratsch im Centre informiert sein wollte, dann sollte man immer ihn fragen.

"Diese Kerle sind wirklich der Schrott der Gesellschaft!" polterte sie los. "Und genau dahin sollte man sie auch werfen: zum Schrott. Oder noch besser: in eine Schrottpresse. Ja, warum die überbelegten Gefängnisse noch mehr belasten? Wir quetschen sie auf handliche Größe, das ist doch platzsparend."

"Miss Parker, das ist nicht ihr Ernst?" fragte Sydney entsetzt.

"Natürlich will ich sie nicht umbringen... Aber eine kleine Abreibung haben sie doch verdient. Wir stecken sie in eine Schrottpresse und jagen ihnen ein wenig Angst ein. Da unten hört garantiert niemand ihre Schreie!" erklärte Miss Parker immer noch kampflustig.

Jarod war auffallend ruhig. "Was haben sie gesagt?"

"Ich meinte doch nur..."

"Das ist es! Natürlich!" er sprang auf und drückte der überraschten und entsetzten Miss Parker einen Kuß auf die Wange. "Sie sind ein Genie!"

Miss Parker und Sydney schauten entgeistert auf seinen Rücken, als er sich wie ein Irrer auf die Unterlage stürzte und hier und da einige herausfischte. Dabei murmelte er unverständlich vor sich hin.

Schließlich drehte sie sich um und sah Sydney an. "Was ist denn in den gefahren?"

Der andere zuckte mit den Schultern. "Wie's aussieht, hat er eine Idee."

Schließlich setzte Jarod sich vor den Computer und begann mit einer ungeheuren Geschwindigkeit, zu tippen. Miss Parker trat von hinten an ihn heran und schaute ihm über die Schulter. "Darf man fragen, was sie da machen? Und wieso bin ICH auf einmal das Genie?"

"Schrott." antwortete er knapp.

"Geht das noch ausführlicher?"

"Ich glaube, sie haben damit voll ins Schwarze getroffen. Erinnern sie sich an den Fluchtwagen? Ein älteres Auto in silbermetallic. Ich habe die Farbe überprüft, die gab es noch nicht, als der Wagen gebaut wurde. Er muß also mindestens einmal umgespritzt worden sein. Und das ist teuer. Bei einer normalen Autowerkstatt könnten sich diese Typen das nicht leisten. Außerdem sah der Lack auf den Fotos noch recht neu aus. Die kleine Verschönerungsarbeit kann also noch nicht sehr lange zurückliegen.
Wenn man also selber einen Wagen umlackieren will braucht man zumindest eine Halle wo der Lack trocknen kann und auch das entsprechende Werkzeug. Ich überprüfe jetzt, ob einer der Männer in irgendeiner Verbindung steht mit einer Werkstatt, einem Schrottplatz, einer Lagerhalle oder sonst etwas."

Er arbeitete sich schweigend durch einige Datenbanken, die für Miss Parkers Augen viel zu schnell über den Bildschirm rasten. Polizei, FBI, Gefängnisse, Bewährungshelfer...

"Bingo!"

"Was haben sie gefunden?" Miss Parker rückte noch ein Stückchen näher. Nicht daß Jarod sie nicht gern in seiner Nähe hatte, aber DIESE Nähe lenkte ihn ein wenig ab...

"Einer der Kerle saß schon einmal im Gefängnis. Dort saß er mit einem Mann namens Eric Bristol für 2 Jahre in der selben Zelle. Dieser Bristol hat den gleichen Bewährungshelfer wie er... und raten sie mal, wo der ihn untergebracht hat? Als Hilfskraft auf einem Schrottplatz!"

"Das heißt noch nicht, daß dieser Kerl etwas damit zu tun hat. Außerdem wieso ein Schrottplatz? Wo will er die Geiseln verstecken?"

"In der Presse."

"Was?"

"In der Schrottpresse." Das Puzzle setzte sich für Jarod immer mehr zusammen. "Sehen sie, die Schrottpressen dort sind groß genug um einen Kleinbus zu zerquetschen. Wenn man die Geiseln in einem Wagen in dieser Grube versteckt und den ‚Deckel' schließt, ohne den Mechanismus zu betätigen hat man ein verdammt sicheres Gefängnis mit 15 cm dicken Stahlwänden in dem niemals jemand suchen würde... und in dem sie niemand schreien hören kann."

Ein Schauer lief Miss Parker bei dem Gedanken über den Rücken. "Aber wie können sie sicher sein, daß das richtige Versteck ist?"

Jarod überlegte. Dann wandte er sich wieder dem Computer zu und begann zu tippen.

Miss Parker blieb nichts anderes übrig als zu warten und zu versuchen nachzuvollziehen, was er vorhatte. Überrascht war sie allerdings schon, als die Sprache auf dem Bildschirm auf einmal russisch war. "Was ist das?"

Jarod war offensichtlich an eine Barriere gestoßen und machte sich jetzt daran, sich hindurch zu hacken. "Oh das... Das ist der Hauptrechner der russischen Sattelitenstation."

"Der WAS??"

Er war durch. Ein Bild erschien auf seinem Monitor, sie konnte einen Teil Amerikas entdecken, die Küste. Dann zoomte Jarod heran... immer weiter... Man sah eine Stadt... Er wählte einen Ausschnitt und vergrößerte ihn weiter.

"Die amerikanischen Satteliten befinden sich gerade auf der anderen Seite der Erde. Aber dieser russische hatte die richtige Position." erklärte Jarod ruhig als wäre er das normalste von der Welt einen russischen Satteliten zu benutzen - schließlich waren die eigenen ja eben nicht greifbar.

Miss Parker wollte protestieren, doch Jarod schaute sie plötzlich triumphierend an. "Sehen sie! Da!"

Er zeigte auf den Schirm. Dort konnte man relativ verschwommen etwas erkennen, daß mit ein wenig Phantasie ein Schrottplatz sein konnte. Und dort, wo Jarods Finger hindeutete, war ein kleiner, hellsilberner Punkt... nein, ein Wagen. Der Fluchtwagen! Das war wirklich mehr als nur ein Zufall.

Jarod machte eine Kopie von dem Bild. "Ich denke es wird Zeit, daß wir der Polizei Bescheid sagen." Er gab Sydney die Diskette mit dem Bild.

"Das war sehr gute Arbeit, Jarod!" lobte der, während er sich sein Jackett schnappte.

"Diesmal hatte ich ja Hilfe dabei." Jarod lächelte Miss Parker an.

"Ich schlage vor, wir machen Schluß für heute. Du hast dir deinen Feierabend redlich verdient. Oh, und ihnen danke ich natürlich auch, Miss Parker. Ich werde mich jetzt lieber beeilen."

"Schon klar. Gute Nacht, Syd." rief Miss Parker ihm lächelnd nach.

Auf einmal standen Jarod und Miss Parker allein im Raum. Jarod schaltete den Computer aus und fing an, die Reste ihres Essens zusammenzuräumen.

Miss Parker, die auf einmal nicht recht wußte, was sie tun sollte, gab sich einen Ruck und half ihm.

Das Schweigen zwischen ihnen brachte eine unangenehme Spannung mit sich. Beide wußten plötzlich nicht mehr, was sie sagen sollten

Schließlich gab Jarod sich einen Ruck. "Sagen sie, Miss Parker..."

Sie schaute auf. "Ja?"

"Wenn ich demnächst mal wieder nicht weiterkomme, dürfte ich sie dann vielleicht mal zum Abendessen einladen. Das ist... sehr inspirierend."

Sie schaute ihn erst geschockt und dann verständnislos an. Und dann fingen beide gleichzeitig an zu lachen.

Jarod war froh, daß das Eis wieder gebrochen war.

"Wow, das ist... der seltsamste Grund, weshalb mich jemand zum Essen einladen will, den ich je gehört habe..." sagte Miss Parker mit einem Zwinkern in den Augen.

Jarod grinste breit. "Und? Würden sie kommen?"

Sie lächelte vielsagend und drehte sich um, um den letzten Karton wegzuwerfen. Erst nach einer kleinen Weile antwortete sie ihm. "Vielleicht..."

Jarod war überrascht. Das war mehr, als er erwartet hatte. Sein Herz schlug wieder schneller. Sollte er es wagen...?

Miss Parker kam zum Tisch zurück und wollte ihre Jacke nehmen.

Jarod schnappte sich die Jacke von der Stuhllehne weg. Erst wollte er ihn hineinhelfen, dann entschied er sich aber doch anders. Jetzt oder nie!

"Eigentlich ist das Abendessen ja noch nicht beendet."

Miss Parker hob fragend eine Augenbraue.

"Was ist denn ein Essen ohne Nachtisch?" er grinste sie an.

Miss Parker warf ihm einen Blick zu der fragte: ‚Wo zum Teufel willst du JETZT im Centre noch Nachtisch herkriegen??'

"Deshalb... würde ich sie gerne noch einladen, in meinem Zimmer einen Kaffee mit mir zu trinken."

So, jetzt war es raus, sein Herz klopfte laut - hoffentlich hörte sie es nicht - und er wußte nicht, ob es eine gute Idee gewesen war. Vielleicht lachte sie ihn ja aus...

Miss Parker schaute ihn überrascht an. Sie wollte es nicht zugeben, aber auch ihr Herz schlug schneller. Er bat sie, mit ihm auf sein Zimmer zu kommen?! Sie war hin und her gerissen. Sollte sie es tun? Einerseits hatte sie den Abend sehr genossen und hätte nichts dagegen, wenn er noch etwas länger dauerte... und schließlich erwartete sie ja daheim ja nichts als ein leeres Haus. Aber andererseits... was wäre, wenn es irgend jemand erfährt... was wenn ihr Vater...? Sie stockte in Gedanken. Warum sollte es sie interessieren, was ihr Vater dachte? Er hatte sich nie viel um sie geschert solange sie nur brav das tat, was er wollte. Immer lief es so, wie ER es wollte und plante. Verdammt das war IHR Leben, nicht seins! Er hatte ihr schon soviel kaputt gemacht!

Jarod beobachtete ihr Zögern. Vielleicht hatte er zuviel verlangt? Oder zu schnell. Oder sie wollte einfach nicht noch mehr Zeit mit ihm verbringen und suchte nach einer Ausrede, um es ihm schonend beizubringen. Oder...

"Na dann, gehen wir."

Miss Parker hakte sich bei dem total verdutzten Jarod ein und sah ihn auffordernd an. Da der aber im Moment vom Sprechen ab war, nickte er nur.

Sie gingen zusammen die Treppe hoch und Jarod bewunderte mal wieder, wie sie so sicher auf diesen Schuhen laufen konnte. Oben hielt er ihr die Tür auf.

Als sie danach zusammen über die leeren Flure des Centres gingen, hakte sich Miss Parker allerdings nicht bei ihm ein. Das war ihr dann doch zu ‚gefährlich' - schließlich mußte man die Gerüchteküche ja nicht unnötig anheizen. Aber sie unterhielten sich unverfänglich über ihre Arbeit und ein paar Hobbies, die sich Jarod ‚draußen' angeeignet hatte. Miss Parker mußte bei dem Gedanken lachen, wie Jarod wohl aussah, wenn er mit einem Alligator einen Ringkampf macht. Allerdings schollt sie ihn mit gespielter Entrüstung, daß er die gefährliche Echse nach ihr benannt hatte!

Schließlich holten sie sich an einem Automaten noch zwei Becher Kaffee, bevor Jarod endlich seinen Schlüssel rauskramte - ja, er hatte sogar einen Schlüssel für seinen Raum (obwohl er sicher war, daß es noch andere im Centre gab) - und sie eintreten ließ.

Jarod holte zwei Schachteln mit Plätzchen und Pralinen aus dem Schrank und stellte sie auf seinen Schreibtisch. Dann fiel ihm plötzlich auf, daß er ja auf ‚Besuch' gar nicht vorbereitet war. Er hatte keine Couch und sein einziger Tisch im Raum war der Schreibtisch mit seinem Computer. Auch Stühle waren Mangelware.

Miss Parker bemerkte seinen verzweifelten Blick durch den Raum und lächelte.

"Entschuldigen sie, ich hab ganz vergessen, daß..."

"Schon gut, Jarod!" unterbrach sie ihn. "Dann improvisieren wir halt." Sie setzte sich auf sein Bett und stellte den Kaffeebecher auf dem Nachttisch ab.

‚Ich benehme mich so seltsam, wenn ich mit ihm zusammen bin.' sinnierte sie, während sie auf ihren Kaffee starrte. ‚Was ist nur los mit mir? Kann es sein... kann es sein, daß ich wirklich Gefühle für ihn habe?? Das darf nicht sein! Ich... Ich kann mir keine Gefühle erlauben! ... Und ich will mir auch keine erlauben. Wenn man Gefühle für jemanden hat, dann ist man schwach und angreifbar. Und man wird nur enttäuscht. Meistens waren es die Männer, die ich gemocht habe, die mich enttäuschten... die mit meinen Gefühlen nur gespielt und sie ausgenutzt haben. Ich kann keinem vertrauen! Niemandem! Dann kann mich auch keiner verletzen. ... Mit Thomas war das etwas anderes gewesen. Er hat mich nicht nur benutzt, er hat mich geliebt. Und ich habe ihn geliebt. ... Aber habe ich das wirklich?? Er hatte mir viel bedeutet, aber habe ich ihn auch wirklich geliebt?? Wenn ich das getan hätte, dann hätte ich ihm hundertprozentig vertrauen müssen, hätte ihm alles von mir erzählen müssen... Aber das habe ich nicht. Ich konnte nicht. Ich hatte Angst, das er manche Seiten von mir nicht akzeptieren würde... ... Vielleicht habe ich in Wahrheit noch nie jemanden geliebt. Vielleicht weiß ich gar nicht, wie das geht.'

Jarod hatte inzwischen seinen Bürostuhl ans Bett gerollt und die Schachteln und seinen Kaffee auch auf den Nachttisch gestellt. Überrascht bemerkte er Miss Parkers abwesenden und traurigen Blick. Plagten sie wieder schlimme Erinnerungen? Oder Probleme mit ihrem Vater?

"Erde an Miss Parker!"

Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch und sah Jarod lächelnd vor sich sitzen. Er hielt ihr eine Schachtel hin. "Möchten sie? Die mit der Walnuß oben drauf sind besonders gut."

Sie lächelte zurück und nahm sich eine Praline.

Mit ernsterer Stimme sagte er: "Hören sie... wenn es ein Problem gibt, bei dem ich ihnen helfen kann, dann sagen sie es mir."

Sie sah ihn überrascht an. "Wie kommen sie darauf."

"Nun, sie sahen aus, als bereite ihnen etwas Kopfschmerzen. Und ich dachte, na ja, vielleicht geht es ja um ihren Vater... oder einen Fall, den sie bearbeiten."

Sie schüttelte den Kopf. "Es ist nichts. Ich hab nur... über etwas nachgedacht. Ist aber nicht so wichtig."

Er schaute sie immer noch ernst an. "Gut. ... Ähm, wenn sie mal jemanden brauchen, mit dem sie reden können, oder der einfach nur zuhört..."

Er brach ab und schaute schnell woanders hin. ‚Himmel was bietest du ihr da an???' schrie ihm seine kleine Stimme zu. ‚Meinst du im Ernst, sie kommt zu DIR, um sich bei dir auszuheulen???'

Auch Miss Parker war verdutzt darüber, daß er ihr das anbot. Um nicht mit offenem Mund dazusitzen, murmelte sie schnell "Danke" und trank einen Schluck aus ihrem Becher. Warum hatte er das gesagt? Meinte er es ernst? Und was war mit ihr? Sie konnte ihm ja wohl kaum von ihren Problemen erzählen... Das war... Er würde es ja eh nicht verstehen... ... Oder doch? Wenn sie es so betrachtete war Jarod der einzige Mensch, der sie wirklich so kannte, wie sie war, und sie auch so akzeptierte. Gut, er versuchte ständig, sie zu verändern. Aber wenn sie ehrlich war, dann hatte er ihr eine Seite an ihr gezeigt, die sie auch selbst mehr mochte, als sie es zugeben wollte.

Beide nippten an ihrem Becher und wußten mal wieder nicht, was sie sagen sollten. Doch diesmal war es Miss Parker, die das Schweigen brach.

"Jetzt weiß ich übrigens noch etwas, das in ihrem Zimmer fehlt."

Jarod sah sie fragend an.

"Eine Stereoanlage."

Er lachte auf. "Na ja, es wäre manchmal nicht schlecht, etwas Musik zu hören. Hoffentlich kriege ich dann keine ‚Verwarnung' der anderen ‚Anwohner' wegen Lärmbelästigung."

Auch Miss Parker grinste. "Wenn du nicht gerade Heavy Metal - Fan bist, dann dürfte es keine Probleme geben."

"Warum sollte ich denn ein Fan von Metall sein??" fragte Jarod verduzt.

"Nicht doch!" Miss Parker lachte auf. "Nicht von Metall. Von Heavy Metal, das ist ne Musikrichtung. Hast du etwa noch nie etwas davon gehört? Na macht nichts, ist auch nicht so toll... eigentlich ist es nur laut."

Da!!! Da war es wieder, das ‚du'!! Ok, jetzt wollte er es aber wissen!

"Wissen sie, was mir aufgefallen ist, Miss Parker? Sie haben mich gerade geduzt."

Sie schaute ihn überrascht an. Das war ihr gar nicht aufgefallen.

"Beim Essen übrigens auch."

Ups, da hatte er sie wohl erwischt.

Doch zu ihrer Verwunderung lächelte er sie an und sagte: "Warum bleiben wir nicht dabei. Das ist doch eigentlich albern, das wir uns siezen. Ich meine, wir kennen uns schon seit einer Ewigkeit."

Ganz wohl war Miss Parker dabei nicht. "Du weißt, daß das nicht so einfach ist."

Sein Grinsen wurde eine Spur breiter. Mist! Sie hatte schon wieder ‚du' gesagt.

"Verdammt. Jetzt hast du mir nen Floh ins Ohr gesetzt."

Jarod schaute sie fragend und skeptisch an. "Ich habe WAS gemacht?"

"Einen... Hat Sydney ihnen nie Sprichwörter beigebracht?"

"Nein. Deswegen trete ich auch ständig in irgendwelche Fettnäpfchen." Er seufzte - einerseits wegen der Sprichwörter und andererseits, weil sie wieder ins ‚sie' zurückgefallen war.

"Ah so." sie nickte mitfühlend. Sydney hatte ihn wirklich nicht gut auf das Leben ‚draußen' vorbereitet.

Sie tippte mit dem Zeigefinger nervös gegen den Rand ihres Bechers. "Ich weiß wirklich nicht, ob das so eine gute Idee ist."

Jarod ließ die Schultern hängen. "Ja, ich weiß..." Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht recht. "Aber einen Versuch war's wert."

Miss Parker lächelte zurück. Es tat ihr irgendwie leid, daß sie ihm seine Bitte ausschlagen mußte. "Aber... was mein Vater nicht weiß, macht ihn nicht heiß..."

Jarod hob langsam den Kopf und Miss Parker hätte schwören können, sie sah lauter Fragezeichen in sein Gesicht geschrieben.

Sie schnitt eine Grimasse. "Ähm... jetzt weiß ich das perfekte Weihnachtsgeschenk für dich: ein Sprichwörter-Buch." Dann wandte sie sich ab und angelte sich noch eine Praline aus der Schachtel.
"Es bedeutet nur: wenn mein Vater nichts mitkriegt, dann gibt es auch keine Probleme." erklärte sie schließlich, da Jarod weiterhin stumm auf eine Antwort wartete

Jarod dachte über ihre Worte nach und nickte bedächtig. "Also so was wie ein Geheimnis zischen ihnen und mir?"

Miss Parker wäre fast die Praline im Hals stecken geblieben... ein Geheimnis... das klang so... Sie schluckte das hartnäckige Konfekt herunter und schaute ihn forschend an.

"Keine Angst, ich verrate es nicht! Pfadfinderehrenwort!" Jarod hielt die Hand zum Pfadfinderschwur hoch.

"Du warst nie Pfadfinder." konterte Miss Parker.

Er grinste sie schelmisch an. "Sind sie sich da sicher??"

Miss Parker verdrehte die Augen und unterdrückte ein Grinsen.

"Erinnern sie sich noch an unser Geheimnis von früher?" fragte Jarod und schaute ihr tief in die Augen.

Wie konnte sie sich nur in diesen tiefen braunen Augen so schnell verlieren? Miss Parker konzentrierte sich auf seine Frage, um ihren Magen wieder vom Hüpfen abzubringen. "Geheimnis?"

"Ja, ich hab es nie jemandem verraten. Die ganze Zeit."

Bilder aus der Vergangenheit zuckten in ihrem Kopf auf: das Simlab, der kleine Junge mit den traurigen Augen, das kleine Mädchen beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. "Du... du weißt es noch?"

Jarod lächelte über ihren erstaunten Gesichtsausdruck. "Natürlich." Seine Stimme war leise, dunkel und verführerisch.

Dann beugte er sich langsam nach vorn bis sein Mund neben ihrem linken Ohr war. Für einen Augenblick berührte seine Wange ihre Haut, als wäre es nur ein Versehen... aber war es das? Sein Atem kitzelte ihr Ohr und ließ die sensiblen Nerven darin Feuer fangen. Seine Lippen bewegten sich sanft als er leise, fast lautlos ein Wort flüsterte. Das verbotene Wort. Das Wort, daß sie eigentlich nie wieder hören wollte. Das Wort, daß sie nur in ihren Träumen hörte, wenn die Erinnerung an ihre Mutter sie verfolgte...

Ihren Namen!

Ein leichtes Zittern lief durch sie hindurch.

Aber war es nur die Erinnerung an ihren Namen gewesen, die sie bewegte? Oder war es seine Nähe? Seine Berührung...

Als er sich wieder zurücklehnte, schaute sie zuerst auf den Boden. Dann sah sie auf... suchte seine Augen... suchte einen Hinweis darauf, ob er nur mit ihr spielte und sie verhöhnte, ob auch er versuchte, sie zu manipulieren und zu verletzten. Doch sie sah nur Ehrlichkeit und Wärme in seinen Augen. Und... war da noch etwas? Sie konnte es nicht genau sagen.

Er lächelte sie an. Kein typisches Jarod-Grinsen, keine Herausforderung. Nein, mehr ein schüchternes Lächeln, daß ihr zeigte, daß er sie verstand... daß er mit ihr fühlte.

Ihr Herz schlug immer noch schnell. Sie war nervös. Himmel, so nervös wie schon lang nicht mehr! Sie wünschte sich plötzlich, sie hätte nicht mit dem Rauchen aufgehört, dann hätte sie sich jetzt wenigstens damit ablenken können. Hätte nicht einfach so dagesessen. Der Vorteil beim Rauchen war eindeutig, daß man immer eine Beschäftigung für die Hände hatte. Aber das war vorbei. Also nahm sie jetzt als Ersatz wieder ihren Kaffeebecher in die Hand nippte wieder daran. Der Kaffee war schon lange nicht mehr so heiß, daß sie hätte nippen müssen, aber wer weiß, wie lange sie von diesem einen Becher noch zehren mußte, wenn das Gespräch weiter so persönlich blieb!

Ein kurzer Blick auf Jarod zeigte ihr, daß er sich jetzt wieder entspannt hingesetzt hatte und sie anlächelte, allerdings diesmal mit dem typischen Jarod-Lächeln. Auch er trank ein paar Schlucke aus seinem Becher und schwieg.

Eine Weile sagte keiner ein Wort und sie genossen einfach die Stille. Schließlich angelte Jarod etwas aus dem Bücherregal neben dem Bett und hielt es ihr hin. "PETS??"

Sie mußte lachen. "Wie kommen sie denn daran?"

"Ah!" Jarod hob tadelnd den Finger.

"Also schön. Wie kommst DU denn daran?"

"Tut mir leid, ich darf meine Quellen nicht verraten!" er grinste breit.

Sie nahm ein Bonbon aus der Hülle. "Was hast du nur immer mit diesen PETS?"

"Sie waren das erste, was ich nach meiner Flucht für mich entdeckt hab. Sie symbolisieren für mich also praktisch die Freiheit." erklärte er.

Sie nickte und wurde wieder ernst. "Jarod, hör zu. Wegen... Ich meine... Ich möchte eigentlich nicht, daß..."

"Schon klar." unterbrach er sie. "Ich würde dich auch nie mit deinem Vornamen ansprechen. Zumindest nicht, solange du das nicht willst. Ich respektiere deinen Wunsch. Auch wenn ich es sehr schade finde, es ist ein sehr schöner Name und er paßt viel besser zu dir als ‚Miss Parker'."

Sie zog eine Grimasse und er grinste.

"Was hältst du davon, wenn ich einfach nur ‚Parker' sage?"

Sie überlegte. "Ich denke damit könnte ich leben." Dann schaute sie ihn herausfordernd an. "Und was noch viel wichtiger ist: damit könnte ich DICH weiterleben lassen!"

Jarod lachte auf.

Auch Miss Parker lächelte. Dann schaute sie auf ihre Uhr und seufzte. "Hast du eigentlich gesehen, wie spät es ist?"

"Nein." Er drehte sich zu seiner Wanduhr um. "Oh. Heißt das, das du schon gehen willst?"

‚Wenn ich hier nicht übernachten will.' lag ihr schon auf der Zunge, aber sie sprach es lieber nicht laut aus... obwohl...der Gedanke hatte etwas verlockendes... ‚Schluß damit!'

"Ja, ich fürchte schon. Ich brauche schließlich auch meinen Schönheitsschlaf." Sie griff ein letztes Mal nach ihrem Becher und hielt dann inne. "Oh, ich vergaß. Das hat dich ja nie groß gestört..."

"Huh?" Jarod machte ein unschuldiges Gesicht, als sie sah ihn tadelnd ansah.

"Du kannst froh sein, daß ich dich damals nicht in die Finger gekriegt habe! Leute, die es sich zum Hobby machen, mich um 3 Uhr nachts anzurufen und aus dem Schlaf zu reißen bekommen bei mir eine ‚Sonderbehandlung'!" Mit dieser Drohung lehrte sie ihren Becher, zerdrückte ihn und warf ihn in den Papierkorb.

Jarod verkniff sich einen weiteren Kommentar. Er beschränkte sich darauf, sie spitzbübisch anzugrinsen. Natürlich wußte sie, daß er wegen ihres gestörten Schlafes kein schlechtes Gewissen hatte.

Jarod nahm ihre Jacke und half ihr ganz gentlemanhaft hinein. "Willst du vielleicht noch ein paar Pralinen mitnehmen? Als kleinen Mitternachts-Snack?"

Miss Parker, die gerade die Jacke zuknöpfte, schnaufte. "Langsam habe ich da Gefühl, du willst mich mästen!" Dann drehte sie sich abrupt um... und stieß mit dem immer noch hinter ihr stehenden Jarod zusammen.

Jarod hatte nicht damit gerechnet, daß sie sich so schnell umdrehen würde. Als sie gegen ihn stieß und dann nach hinten zu fallen drohte, griff er automatisch nach ihrem Arm und zog sie an sich.

Plötzlich stand sie in seiner Umarmung! Ihre Hände lagen auf seiner Brust und sie meinte sogar, sein Herz schlagen zu fühlen. Seine Armen hatte er schützend um sie gelegt und seine Hände lagen locker auf ihrem Rücken. Für einen Augenblick hielten beide die Luft an und bewegten sich nicht.

Miss Parker erholte sich als erste wieder. Sie machte einen Schritt zurück und Jarod entließ sie sofort aus seinen Armen. Ihr Herz schlug so laut, daß sie Angst hatte, er könnte es hören und sehr zu ihrem Ärger breitete sich ein Anflug von Röte auf ihren Wangen aus.

Allerdings war es Jarod, er als erster seine Sprache wiederfand. "Tut mir leid... Ich wollte dich nicht umrennen." stammelte er schnell.

"Schon gut." Miss Parker schüttelte den Kopf. "Das war... meine Schuld."

"Alles in Ordnung?"

‚Reiß dich zusammen!' rief ihr Verstand Miss Parker zu. Sie schaute hoch und setzte ein neutrales Lächeln auf. "Na klar. Ich bin ja nicht aus Porzellan."

Sie suchte in ihren Taschen nach dem Autoschlüssel und tadelte sich selbst dafür, daß ihre Hand ein wenig zitterte. Sie zog den Schlüsselbund heraus und behielt ihn in der Hand. Ihr war es lieber wenn sie ihn in der Tiefgarage nicht erst suchen mußte.

"Also dann, ich bedanke mich für den netten Abend." sagte sie so unverfänglich wie möglich.

Jarod lächelte sie schon wieder an. "Nein, ICH bin es, der sich bedanken muß. Das war wirklich ein sehr schöner Abend... Das Essen war ausgezeichnet und die Begleitung war einfach bezaubernd."

"Hey, erzähl das bloß keinem!! Du ruinierst sonst noch meinen schlechten Ruf."

Beide lachten.

"Gute Nacht, Jarod."

"Gute Nacht, Parker. Fahr vorsichtig."

Miss Parker zog eine Grimasse. "Ja, Daddy."

Dann drehte sie sich um und verließ sein Zimmer.



Draußen auf den leeren Korridoren lief der Abend wie ein Film noch mal vor ihrem geistigen Auge ab. Sie blieb stehen und wollte sich am liebsten gegen eine der Mauern lehnen und tief Luft holen. Aber da war wieder ihre kleine Stimme, die ihre nachdrücklich zurief: ‚Die Kameras!!'

Sie hatte recht! Miss Parker ging weiter, das Gesicht wie immer völlig emotionslos, aber in ihrem Innere aufgewühlt und verwirrt.






... Fortsetzung folgt





Kontakt: Feedback an Foxee
Dies ist mein erstes FanFic und ich bin für jede Art von Feedback dankbar. Schreibt mir, ob es euch gefallen hat oder was ich besser machen soll. ;-)









You must login (register) to review.