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Also, diesmal will ich auch mal was vorweg sagen. Nein, mir gehören Jarod und Anhang immer noch nicht, und die Figuren, die mir gehören, machen auch nur, was sie wollen.




Die vergessene Akte
Teil 15
von Dara







"In 10 Minuten sind wir da!" Sam richtet sich auf, die zweistündige Fahrt zurück zu ihrem Waldhäuschen machte sich bemerkbar. Sie blickte kurz in den Rückspiegel und bemerkte die Unsicherheit und Vorfreude bei Margaret. Kurz war sie versucht, sich in diese Frau hineinzuversetzen, sich vorzustellen, wie es war, die Kinder zu verlieren. Sie schüttelte den Kopf; sie wollte sich das nicht vorstellen.

Emily sah sie nachdenklich an: "Wie ist er so?"

"Wer, Jarod?" Sam erwiderte den Blick kurz und konzentrierte sich dann wieder auf die Fahrbahn.

"Ja, wie ist er so?" Marge lehnte sich nach vorne, um besser verstehen zu können.

"Er ist klug, schnell, gutaussehend. Wenn er nicht schon vergeben ... " Sam schüttelte mit dem Kopf, das wollten die beiden bestimmt nicht wissen, zurück zum Thema. "Tja, er hat ziemlich viel mitgemacht, es ist nicht unbedingt eine schöne Kindheit im Centre, das kann ich wirklich nicht sagen. Aber er, er hat sich eine gewisse Naivität bewahrt, für jetzt, für die Zeit außerhalb des Centres. Er ist witzig." Sie grinste kurz. Einen Moment überlegte sie, was sie noch sagen sollte.

"Er liebt Kinder, er hat eine so verdammt große Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit, daß es schon beim Hinsehen schmerzt. Er ist seit vielen Jahren auf der Suche nach seiner Familie und nach sich selbst. So sehr nach der Suche nach der Wahrheit, daß er sie, wenn sie vor ihm liegt, gar nicht wahrnimmt."

Marge war den Tränen nahe, wie sehr mußte ihr Sohn gelitten haben. Was hatten die ihm bloß angetan?

"Oh, er liebt Eiskrem und Süßigkeiten über alles und Mr. Kartoffelkopf. Er kann jemandem unwahrscheinlich schnell vertrauen und will am liebsten die ganze Welt retten. Hab ich schon erwähnt, daß er ziemlich clever ist?" Sam mußte lachen, "Na ja, nicht so clever wie ich, aber er hat Potential!" Sie kicherte.

Emily sah ihre Nachbarin fragend an.

"Oh, ich bin auch ein Pretender! Ich war auch ein sogenanntes Projekt fürs Centre! Hat euch das denn keiner gesagt?!" Sam lächelte übers ganze Gesicht.

"Dann warst du auch in dieser schrecklichen Einrichtung gefangen?" Marge konnte die Träne nicht unterdrücken, die sich aus ihrem Auge löste. Wie viele Familien mußten eigentlich noch leiden wegen dieser schrecklichen Organisation?

"Och, so schlimm war’s gar nicht! Man mußte nur wissen, wie man sich Raines vom Hals hielt! Jarods Mentor, Sydney, hat sehr gut aufgepaßt, daß dieser Möchtegern-Doktor Jarod nicht in die Finger bekam. Und ich hatte ja Dr. Alan!" Ihr Lächeln verschwand nur kurz, als sie an ihren Mentor dachte, der ihr den Vater ersetzt hatte. "Kinder machen das beste aus ihrer Umgebung, Marge. Und wenn man ein Pretender ist, dann geht das auch richtig leicht!"

Sam verschwieg die Experimente, die man trotz der Proteste von Dr. Alan durchgeführt hatte. Die Beerdigung am lebendigem Leibe, die mutwillige Infektion mit einem mutierten Ebolavirus, dessen Gegenmittel sie selbst in 48 Stunden entwickeln mußte, die Tage in der Zelle, ohne Essen und nur der Ton eines defekten Wasserhahns. All die Simulationen kamen ihr wieder in den Sinn. Sie würde niemals zulassen, daß ihre Kinder so etwas mitmachen mußten, eher würde sie das Centre zerstören.

Sie holte tief Luft und setzte wieder ihr Lächeln auf: "Ihr werdet ihn mögen, er ist total lieb!" Sie sah Emily aufmunternd an. Diese erwiderte das Lächeln.

Sam bog in die Einfahrt ein und verlangsamte das Tempo. Aus alter Gewohnheit überflog sie sicherheitshalber die Umgebung. Kein Wagen folgte ihnen, kein Wagen war geparkt. Der Wald war sauber und auch auf dem Feld war nichts zu sehen. Das Haus kam in Sichtweite.

"Wir sind da!"

**

"Parker, das ist weit genug!" Sydney wollte nicht mehr laufen, er wollte endlich Antworten. Seit über 5 Minuten gingen sie jetzt schweigend im Park spazieren. Sie waren mit dem Wagen in die City von Blue Cove gefahren und schließlich hatten sie vor dem größten Stadtpark geparkt. Parker und Lyle waren ausgestiegen und losgegangen.

"Hier empfängt auch die beste Wanze am Wagen nichts mehr! Und die Straße dürfte auch weit weg genug sein!" Sydney setzte sich demonstrativ auf eine Bank und sah herausfordernd neben sich. Broots holte erleichtert Luft und setzte sich ebenfalls.

Parker hätte noch stundenlang so gehen können; sie wußte einfach nicht, wie und vor allem was sie Sydney erzählen sollte. Sie seufzte und hielt Bobby am Ärmel fest. Sie konnte seine Unruhe fast körperlich spüren, obwohl er nach außen doch so ruhig und kontrolliert wirkte.

"Sie haben recht, Sydney! Es ist genug!" Sie kniff ihre Lippen zusammen und setzte sich schwerfällig hin. Sie fühlte sich so alt. Älter als Sydney. Was sollte sie sagen, und würde er es verstehen?

Eine Minute herrschte Stille. Bobby hatte den dreien auf der Bank den Rücken zugekehrt und
beobachtete Kinder, die Fußball spielten.

Broots fühlte sich nicht wirklich wohl in seiner Haut. Was machte Lyle hier und was ging hier eigentlich vor? Er spürte, daß die Antwort ihm nicht gefallen würde, ganz bestimmt nicht gefallen!

"Sydney!" Parker rang nach Worten und verfluchte einmal mehr ihre Probleme, Gefühle auszudrücken. Sie griff die Hand des Psychiaters und sah ihn fast flehend an. >Hilf mir doch, wie soll ich anfangen?< Sie seufzte leise.

"Also gut, Parker. Warum nennen Sie Lyle Bobby?"

Parker schloß fast erleichtert die Augen. Eine Frage, und eine kurze Antwort. Ein Anfang. Diese Frage konnte sie beantworten! Konnte sie doch, oder? Sie sah Bobby fragend an, doch der schien von der Situation nichts mitzubekommen und starrte fast sehnsüchtig zu den Kindern.

"Nun, hilf mir gefälligst, Bobby!" Sie kniff ihn in den Arm.

"Aua, das tat weh!" Bobby drehte sich um, als er den Schmerz spürte und rieb sich den Arm. Er sah sie kurz an, zuckte mit den Schultern und flüsterte: "Wenn du meinst!" Er holte tief Luft und sagte dann mit erschreckend klarer und gefestigter Stimme: "Weil ich Bobby bin. Eduard Lyle Pioro war eine Simulation, die ich für Raines mal machen mußte. Allerdings war die Flasche" - er spuckte beinahe vor Abscheu, als er an seinen ehemaligen Peiniger dachte – "nicht gerade hilfreich, die Simulation zu beenden."

Sydney starrte ebenso ungläubig in Bobbys Gesicht wie Broots, dessen Mund offenstand. Er konnte und wollte nicht glauben, was er da hörte. Natürlich würde er es Raines ohne Zweifel zutrauen, eine Simulation ohne Backup durchzuführen, und er kannte die möglichen Gefahren dieser Simulationen nur zu gut. Aber Lyles Verhalten, seine Greueltaten, das alles einem fehlgeschlagenen Experiment zuzuschieben? Nein, es würde niemand mehr übrigbleiben, dem man die Schuld dafür geben konnte. Keine Schuld für den Tod von Kyle, kein Schuldiger für die Zerstückelungen der armen Asiatinnen... kein Schuldiger.

Sydney versuchte ärgerlich zu sein; er wollte es einfach nicht glauben. Er sah zu Parker und fragte sie: "Sie glauben das doch nicht, oder Parker, ich meine, das ist ein Trick oder so!"

Und dann erkannte er es. In ihren Augen. Sie glaubte diesem Kerl, sie glaubte diese absurde Geschichte. Wie konnte sie Lyle glauben? Nach all dem, was er ihr angetan hat, was sie von ihm wußte?

"Sydney, Sie haben es mir selbst erzählt! Was passieren kann ohne Auffangnetz! Und auch wenn ich es Ihnen nicht erklären und auch nicht beweisen kann, so weiß ich doch, daß das hier nicht Lyle ist, sondern Bobby!" Sie drückte seine Hand so fest, daß es schon beinahe schmerzte, doch er spürte es kaum.

Er blickte zurück zu dem Mann, der sich wieder dem Fußballspiel auf dem Rasen zugewendet hatte. Die Haltung war anders, das stimmte. Die Stimme und die Sprache waren anders, auch das war nicht zu leugnen. Seine Hilfe bei Sams Flucht. Die Tage, wo Lyle/Bobby mit dem Holzfällerhemd und in zerschlissenen Jeans im Centre aufgetreten war.... Sydney mußte beim Gedanken daran unwillkürlich lächeln, das entgleiste Gesicht von Raines war schon mächtig amüsant gewesen!

Parker beobachtete das Mienenspiel ihres väterlichen Freundes sorgsam und schließlich glaubte sie ein kleines Lächeln zu erkennen. Sie holte erleichtert Luft.

"Wie? Wann..?"

"Keine Ahnung, hat er mir nicht erzählt. Es muß durch Sam ausgelöst worden sein. Vielleicht konnte sie Bobby da rausholen? Sie sind der Experte für diese Dinge, nicht ich!"

"Samantha kannte ihn schon vor seiner Zeit als Lyle. Vielleicht konnte sie Bobby wecken, irgendwie..." Sydney begann allmählich, sich mit dem Gedanken anzufreunden. Es war nicht unmöglich. Jarod und auch Sam waren extrem begabt. Sie waren natürliche Pretender, Bobby hatte nur ein geringes Potential; Fehler und Unfälle konnten bei ihm viel schlimmere und nachhaltigere Folgen haben.

"Sie hat ihn jedenfalls immer Bobby genannt!" Broots zuckte mit den Schultern. Er haßte diese Veränderungen, sie bedeuteten Unsicherheit. Und Unsicherheit im Centre war nicht gut!

Parker und Sydney sahen Broots an.

"Genau, das könnte es gewesen sein. Aber bitte schön, was hat es mit diesen Stimmen auf sich?!" fragte Syd nach einer Minute.

"Es gibt keine Stimmen!" antwortete Bobby härter als beabsichtigt.

"Doch es gibt sie!" Parker war ebenfalls versucht, dieses Thema unter den Tisch fallen zu lassen, aber dann gab sie sich doch einen Ruck. "Ich höre sie manchmal, sie sprechen mir Mut zu oder trösten mich."

"Wessen Stimmen?"

"Mutters, Tommys, Faiths!" Parker flüsterte so leise, daß Sydney sie kaum verstand.

"Und Sie, Ly.. ich meine Bobby, wen hören Sie?"

Bobbys Gesicht zeigte die widersprüchlichen Gefühle, die in ihm vorgingen. Schließlich gab er auf und beantwortete die Frage tonlos : "Mutter, Sam, Angelo und Lyle!"

"Sie können Angelo hören? Was sagen diese Stimmen?"

"Was sollte Lyle wohl schon großartig zu sagen haben, er schimpft und haßt und will Blut sehen! Er ist aber jetzt weg!"

"Und was sagt Angelo?"

"Ich hab ihn nicht gehört, Lyle hat ihn gehört." Bobby wollte die Erinnerung an diesen Tag im Centre wegwischen.

"Was hat er gesagt?"

"Es war ein Mantra, und es war gegen Lyle; Lyle hatte Angst davor. Er hat gesagt : Ich entscheide, ob du stirbst. Ich entscheide, ob du stirbst...." Das ging fast eine Woche so, nachdem ich... ähm... Lyle Kyle getötet hatte."

"Und was hat er heute gesagt?" Sydney Wissensdrang kam zur Oberfläche. Die Stimmen, die die beiden hörten - eine Verbindung zwischen den Zwillingen? Oder etwas anderes? Wie konnte Lyle... Bobby die Stimme seiner Mutter hören?

"Er ist einsam, er vermißt Sam, er fühlt sich allein."

"Das versteh ich nicht," murrte Broots leise, doch alle hatten ihn gehört, "Sie war über 10 Jahre lang verschwunden, und er hatte nie so einen Anfall, oder?"

***

"Sie kommen! Ich sehe den Wagen!" Kay lief aufgeregt zum Flur und rief noch einmal laut hinunter: "Sie kommen, hört ihr, sie kommen!"

Jarod sprang auf seine Füße, so daß der Stuhl unter ihm nachgab und unter lautem Getöse umkippte. Er war blaß im Gesicht, und seine Atmung war flach. Er schloß die Augen und versuchte, sich selbst zu beruhigen. Er holte langsam und tief Luft, dann öffnete er seine Augen wieder und lächelte glücklich. Endlich, nach so langer Zeit, würde er seine Mutter wiedersehen. Er holte noch einmal tief Luft und griff nach Jays Schulter. Sein Bruder stand wie versteinert neben dem Tisch und starrte unbeweglich auf die Tür. Jarods Berührung erlöste ihn aus der Starrheit, und er sah zu seinem großen Bruder hoch. Fragend. Jarod nickte aufmunternd und schob ihn mit sich zur Tür. Zusammen würde es leichter werden.

Jack huschte an den beiden vorbei und öffnete stürmisch die Tür. Er war zu sehr gespannt auf Jays und Jarods Mutter, und außerdem wollte er sich nicht anmerken lassen, daß er die letzten 2 Stunden ausgiebig von seinem Recht Gebrauch gemacht hatte und im Keller gewesen war.

Er eilte auf den Hof und steckte die Hände tief in die Taschen. Er beobachtete, wie das Auto näher kam und auf den Hof fuhr. Mit einem kurzen Blick über seiner Schulter vergewisserte er sich, daß auch ja alle hinter ihm standen. Der Major stand am Scheunentor, wo der Truck untergebracht war, Jarod und Jay auf der Veranda. Kay stand nur einen Schritt hinter ihm und griente ihn an. "Let’s get ready to rumble!" murmelte sie und kicherte.

Sam hielt den Wagen zwei Meter rechts von Jack und Kay an. Sie reckte ihre Schultern und stieg aus. "Da sind wir!"

Emily und Margaret schienen auf ihren Sitzen festgeklebt zu sein, so sah es jedenfalls für eine ewiglange Sekunde aus. Dann raffte sich Emily auf und stieg aus. Sie eilte zu ihrem Vater: "Dad, du hast mir gefehlt, geht es dir gut?" Sie umarmte ihn stürmisch.

Margaret sah auf die beiden auf der Veranda; Jarod und Jay hatten sich bis jetzt nicht ein bißchen bewegt. Sie lächelte und faßte sich ein Herz. Sie war nicht die einzige, die fürchterlich nervös war. Also stieg sie ebenfalls aus dem Auto. Fast sah es so aus, als ob nur das Auto, an dem sie sich noch festhielt, ihr den nötigen Halt gab, ohne den sie fallen würde.
Sie konnte ihren Blick nicht von Jarod und Jay wenden.

"Ich denke, wir sollten zu ihr hingehen!" flüsterte Jarod leise und faßte Jay bei der Hand. Gemeinsam gingen sie zuerst zögerlich auf die rothaarige Frau zu.

"Jarod, mein Gott, Jarod." Marge weinte vor Freude und vor Trauer um die verlorene Zeit. Sie hielt ihre Arme offen, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie umarmte ihren verlorenen Sohn und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit von ihren Sorgen befreit. Sie umfaßte Jarods Gesicht und sah ihn liebevoll an, jeden Zentimeter wollte sie sich für den Rest ihres Lebens einprägen und ihn am liebsten nicht wieder loslassen.

Jay hatte sich von Jarods Hand gelöst, stand nun etwa einen halben Meter daneben und beobachtete die Vereinigung von Mutter und Sohn. Er freute sich für Jarod, aber da war auch Schmerz - er war nur ein Klon, er hatte keine Mutter, die er finden könnte. Ihm war zum Weinen zumute, aber er zeigte es nicht.

"Und du mußt Jay sein! Charles hat mir am Telefon fast nur von dir und Jarod erzählt. Ich freue mich, dich kennenzulernen, mein Sohn!" Marge löste sich aus der Umarmung mit Jarod und blickte voller Wärme auf Jay. Sie hielt ihm ihre Hand hin und als Jay sie zögerlich ergriff, zog sie ihn zu sich und umarmte ihn fest. "Mein Sohn!" flüsterte sie ihm liebevoll ins Ohr.

"Oh ja, Massenkuscheln, los!" Sam fühlte sich etwas unwohl in dieser rührseligen Stimmung und konnte einfach nicht anders, sie mußte die Stimmung auflösen. Sie schubste ihre Kinder zu Marge und Jay. Emily und der Major waren ebenfalls näher gekommen. Sam drängte sie alle zusammen und schließlich lagen sich alle sieben in den Armen. Sowohl Marge als auch der Major mußten unter ihren Tränen lachen.

Jay fühlte sich ziemlich eingequetscht so unter den vielen Leibern, er bekam kaum Luft. Und dennoch strahlte er übers ganze Gesicht. "Sie hat mein Sohn zu mir gesagt!" flüsterte er Kay, die ihm am nächsten war, zu.

"Natürlich, du bist doch ihr Sohn!" Sie lächelte ihn an, als ob es das Selbstverständlichste von der Welt wäre. "Meine Mum hat mich und Jack auch nicht geboren, wir wurden genau wie du im Reagenzglas erzeugt, trotzdem sind wir ihre Kinder!" japste sie ihm leise zu, dann wurde es ihr zuviel und sie schrie : "Aufhören, ich krieg keine Luft mehr!"

Das Menschenknäuel löste sich auf und jetzt, wo die Spannung weg war, redeten plötzlich alle durcheinander. Margaret hielt immer noch Jays Hand und machte nicht die leisesten Anstalten, sie loszulassen. Obwohl Jay noch gerne etwas zu Kay gesagt hätte, wollte er doch die Hand seiner Mutter – seiner Mutter, was für wunderschöne Worte - auch nicht loslassen.

"Ach, nein, die Klamotten können wir später reinholen, erst mal brauch ich einen Kaffee."

"Wie war die Reise, Emily, ich hörte, du bist mit dem Zug unterwegs gewesen?"

"Ich war so überrascht, deine Stimme am Telefon zu hören, Marge!"

"Oh, und wie sich dann das Foto auf meinem Bildschirm öffnete, es war so großartig!"

Kay und Jack blieben ein Stück hinter den anderen zurück und lauschten auf die Gesprächsfetzen. "Die machen mir einfach zuviel Krach! Laß uns lieber schon mal das Gepäck reinholen." Kay sah fragend zu ihrem Bruder.

"Nein, komm mit, ich muß dir was zeigen." Er zerrte sie ins Haus.

"In den Keller? Mum ist doch wieder da!"

"Na und, noch hat sie es uns nicht verboten und außerdem sag ich es ihr ja auch sofort, wenn die Herrschaften sich wieder beruhigt haben!" Er grinste und blinkerte mit seinen Augenbrauen.

Kay kicherte und winkte ab: "Okay, Bruderherz, aber du bist schuld, wenn wir Ärger kriegen!"

***

"Angelo, was machst du bloß für Sachen!" Zärtlich strich Miss Parker über die Stirn des fiebernden Empathen. Er lag zusammengeknäult in seiner Kabine und schlief unruhig. Parker saß auf dem Bettrand und beobachtete ihn.

Nach dem Gespräch im Park war sie wieder zurück zum Centre gefahren. Sydney wollte noch ein paar Untersuchungen mit Bobby machen, um sicherzugehen, daß Lyle auch wirklich ein für alle mal verschwunden war. Dazu waren sie zu Bobbys Wohnung gefahren. Broots hingegen hatte sie nach Hause geschickt, zu Debbie. Er mußte noch einiges organisieren, ebenso wie sie.

Parker streichelte noch einmal über Angelos Stirn. Sie beugte sich zu ihm und flüsterte in sein Ohr. "Ich hole Sam! Ich verspreche es dir!"

"Nein, Sam frei! Sam frei bleiben!" Angelo keuchte und riß ängstlich die Augen auf. Er glühte förmlich.

"Ich werde Sam nicht fürs Centre zurückbringen, Angelo! Ich werde sie zu dir bringen und sie wird frei sein!" Sie küßte ihn auf die Stirn und lächelte traurig.

"Gefährlich!"

"Ich weiß, daß das, was wir vorhaben gefährlich ist, Angelo, aber es wird endlich Zeit!"

"Jarod Hilfe! Parker nicht allein!"

"Ich werde Jarod um Hilfe bitten, Angelo. Und Sam. Ich werde das hier nicht alleine machen, versprochen."

"Angelo Hilfe!" Der Mann versucht aufzustehen.

Parker drückte ihn zurück auf das Bett: "Du wirst erst wieder gesund, dann kannst du uns helfen!"

Sie stand auf und sah ihn an. Er lächelte und nickte eifrig: "Gesund, Hilfe!" Dann schlief er ein, und der Schlaf schien längst nicht so unruhig zu sein wie vorher.

Parker verließ die Zelle leise und schloß bedächtig die Tür hinter sich. Auf dem Gang stand Sam, der Sweeper, mit verschränkten Armen und wartete.

"Paß auf, daß keiner hier reingeht, hörst du. Sobald mein Vater oder Raines auch nur in seine Nähe kommen, will ich das wissen!" Sie hatte ihren Befehlston aufgesetzt, doch sie wußte, daß sie Sam vertrauen konnte.

"Ja, Miss Parker, ich ruf Sie sofort an!"

Sie nickte müde und ging den Gang entlang, dem Ausgang entgegen, nach Hause.

***

"WAS?"

"Parker, keine Zeit für nette Plaudereien, was ist mit Angelo?" Die Stimme klang sehr besorgt und versteckte die Emotionen, die dahinter lagen, nicht.

"Sam, es geht ihm schon wieder besser!"

"Was war es?"

"Ich weiß es nicht, vielleicht hatte er nur eine kleine Infektion, das Fieber hat aber schon wieder nachgelassen!"

"Jarod erwähnte etwas, daß er mich vermissen würde?"

"Er .. Es hatte für mich den Anschein, als wenn er sich fürchterlich alleine fühlte, aber das..."

"Parker! Wenn mein Bruder sich alleine fühlt, dann ist das verdammt wichtig! Ich komme nach Blue Cove!"

"Nein, Sam, es ist zur Zeit nicht sicher hier!" Parker wußte nicht, wie sie Sam beruhigen konnte.

"Es ist mir verdammt egal, ob es sicher ist oder nicht! Ich komme!"

Parker wollte noch etwas erwidern, doch sie hörte nur noch das Besetzzeichen; Sam hatte die Verbindung unterbrochen.

Parker seufzte und massierte sich ihren Nacken. Sie war müde. Sie zog sich ihr Kostüm aus und ging ins Bad. Nach einer kurzen, heißen Dusche fühlte sie sich schon wieder frischer. Sie ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich den Jogginganzug an, den Sam ihr geschenkt hatte. Sie setzte sich im Schneidersitz aufs Bett und starrte auf ihr Handy.

"Was soll ich bloß machen?" Um alles in der Welt wünschte sie sich jetzt die ruhige und sanfte Stimme von Jarod, der für alles eine Lösung hatte. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.

***

"Mum, ich weiß, daß das jetzt gerade ziemlich ungünstig ist, aber du solltest dir das wirklich ansehen!" Kay legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Mutter und sah sie eindringlich an.

Sam seufzte: "Schatz, Angelo ist krank, ich muß zu ihm!" Sie legte ein weiteres T-Shirt in den Koffer.

"Mum, wirklich! Komm erst und sieh dir das an! Du kannst Angelo zur Zeit sowieso nicht helfen!" Jack stand im Türrahmen und trampelte ungeduldig von einem Bein aufs andere.

Sam rieb sich die Augen und richtete sich auf. Ihre Augen waren verdächtig rot, und sie sah sehr müde aus. Kay sah ihren Bruder an und deutete unauffällig in Richtung Badezimmer. Jack runzelte erst die Stirn, doch dann verstand er.

"Wir müssen in den Keller, und du solltest noch etwas trinken!" Kay umarmte ihre Mutter und führte sie hinaus auf den Gang. Jack kam gerade aus dem Bad und versteckte etwas in seiner Hosentasche. Mit einem kurzen Blickwechsel zwischen den beiden Kindern setzten sie sich in Bewegung.

"Dann erzählt, was ist so wahnsinnig wichtig und aufregend, was nicht schon vor zwei Tagen da war?" Sam stützte sich auf Kay und gähnte unauffällig.

"Dieser Raines plant was! Und zwar hat sein Projekt wieder ein Sternzeichennamen!" Die Kinder sahen bedeutungsvoll zu ihrer Mutter.

"Das kann doch wohl nicht wahr sein!" preßte Sam zwischen ihren Zähnen hervor. Sie war wütend und besorgt, und sie hatte dringend etwas Schlaf nötig.

Kay holte ein Glas Orangensaft aus der Küche, Jack gab hinter Sams Rücken etwas in das Glas und rührte es unauffällig um. "Setz dich erst mal, du siehst ja schlimm aus!" Kay drückte Sam das Glas in die Hand.

"Danke, ich bin ziemlich ausgelaugt." Sam stöhnte leise und trank den Saft in einem Zug. Sie wollte sich wieder aufraffen, aber die Müdigkeit übermannte sie stärker, als sie gedacht hatte.
"Ich glaub, ich muß erst mal schlafen, zeigt es mir doch einfach spä..."

"Ist sie eingeschlafen?" Jack guckte vorsichtig und piekte seine Mutter mit dem Finger. Kay näherte sich Sams Gesicht und überprüfte die Atmung: "Alles regelmäßig, sie schläft!"

"Und nun?"

"Sie braucht zuallererst Ruhe. Dann müssen wir eben Jarod erzählen, was Raines vorhat!"

"Ich störe die vier aber nur ungern!" Jack verzog das Gesicht.

Kay nickte bedächtig, aber zuckte dann mit den Schultern: "Wir müssen aber was unternehmen!" Sie zog ihren Bruder in Richtung Bibliothek.

"Hallo, ihr zwei!" Marge saß auf der Couch zwischen dem Major und Jay und blickte auf, als die beiden das Zimmer betraten.

"Hallo!" Jack griente verlegen und knuffte Kay in die Seite.

"Ich hab gehört, ich muß euch noch danken, daß ihr nicht auf eure Mutter gehört habt?"

"Ähm, bloß nicht erwähnen. Aber das war doch eigentlich logo, wo wir doch fast zur Familie gehören!"

"Fast? Wie meinst du das?" Emily lachte kurz auf.

"Och, nicht so wichtig, hat was mit Projekt "Scorpio" zu tun." Kay winkte schnell ab. Dieses Kapitel wollte sie eigentlich nicht unbedingt erörtern.

Jarod sah überrascht auf: "Wirklich? Von dem Projekt hab ich noch nie gehört."

"Es ging um künstliche Befruchtung, ein Experiment von Raines parallel zum Projekt "Gemini"." Jack wand sich unruhig hin und her. Die beiden Geschwister standen immer noch in der Tür.

Jarod wurde blaß. Hatte er das eben richtig gedeutet? Hatte dieser Kerl es tatsächlich gewagt..? Seine Stimme drohte ihm zu versagen, und er blickte auf Kay. Die Ähnlichkeit mit jemanden aus seiner Vergangenheit kam wieder ihn ihm hoch. Natürlich - wie hatte er das vergessen können? Sie hatten ihn doch an jemanden erinnert.

"Wer?" Er mußte sich räuspern und zusammenreißen. Seine Familie war hier, und er wollte sie nicht unnötig aufregen.

"Ach, das gehört doch jetzt wirklich nicht hierher, ich wollte eigentlich etwas anderes mit dir besprechen, Jarod!" Kay winkte schnell ab und tat so, als ob dieses Thema eigentlich vollkommen unwichtig wäre.

"Lenk bitte nicht ab, wer?"

Jack rollte ungeduldig die Augen. Dieses Gespräch lief absolut nicht in die Richtung, in die es laufen sollte.

"Mum und jemand mit der Blutgruppe AB negativ!" fauchte er also, damit das ganze ein Ende fand. "Und du bist es nicht, wir haben Jays Blut schon untersucht!" setzte er noch hinzu.

"Kyle?"

"Wen interessiert das denn noch? Wir sind hier, bei unserer Mum. Und uns geht es gut. Ist doch egal, wie wir entstanden sind, oder wer unser Vater ist. Wichtig ist nur, wir leben, sind gesund und glücklich, Basta! Anderes Thema, bitte!" Kay war ganz rot im Gesicht. Es war ihr doch schon irgendwie peinlich. Aber das brauchte es nicht, es war nicht ihre Schuld. Wenn jemand irgendwelche Schuld hatte, dann war es das Centre. Wieso verteidigte sie sich hier eigentlich?

"Aber uns interessiert es!" Marge war aufgestanden und hatte sich vor die beiden gekniet. Sie faßte jeden bei der Hand und sah ihnen in die Augen. "Denn wenn das wahr ist, und Kyle euer Vater ist, dann gehört ihr zur Familie! Dann seid ihr meine Enkel! Dann hab ich Kyle nicht ganz verloren, versteht ihr?"

Jack schluckte schwer. Er würde jetzt nicht anfangen zu heulen, nein, ganz bestimmt nicht. Er sah zu Kay. Ihr ging es genauso wie ihm, das konnte er spüren. Diese ganze Situation war eigentlich zum Schreien komisch. Was für eine Familie - ein Onkel war genauso jung wie er selbst und Kay, und sie waren alle drei im Reagenzglas gezüchtet worden. Er fing an zu kichern, obwohl er wirklich versuchte, es nicht zu tun, er konnte einfach nicht aufhören. "Was für ein Gedanke!" Seine Schwester sah ihn erst fragend an, wurde aber dann von seinem Lachen angesteckt. "Na ja, wenigstens haben sie hochwertige Materialien verwendet!" kicherte sie.

Marge runzelte erst verwundert die Stirn. Eigenartige Kinder waren das, aber mit so einer Geschichte und mit dem Wissen, das sie hatten, wie konnte man sich da auch normal entwickeln.

"Ich weiß nicht, was ihr daran so komisch findet?" Jarod sah ratlos zu den Kindern, die sich inzwischen fast totlachen wollten.

"Na überleg doch mal, Jay ist mein Onkel und war vielleicht nur 100 Meter von mir entfernt auf dem Wickeltisch, als irgend so ein Arzt uns mit einer Pinzette und Reagenzgläschen gezeugt hat. Ich find das schon irgendwie komisch!"

"Und außerdem, da hat sich das Centre so viel Mühe gemacht, diese Familie auseinanderzureißen und hat sie dann auch noch so dermaßen vergrößert, daß die Wahrscheinlichkeit einer Familienvereinigung doch wirklich immer größer wurde."

"Klarer Fall von: Denn sie wissen nicht, was sie wollen!"

"Das heißt, 'denn sie wissen nicht, was sie tun'!" Der Major fand die ganze Sache eigentlich nicht so witzig.

"Och, nachdem sie drei Stück von unserer Sorte erschaffen haben, sollten sie doch zumindest ein wenig Ahnung von der Materie haben!" Kay hielt sich vor Lachen schon den Bauch.

Während Marge und der Major die Kinder mit ernsten Gesichtern ansahen, und Jarod einfach nur wütend den Kopf schüttelte, fiel Emily mit in das Lachen ein. Fast vorwurfsvoll richtete sich der Blick ihrer Eltern auf sie.

"Wenn sie darüber lachen können, dann sollten wir das auch. Sie sind diejenigen, die von der ganzen Situation betroffen sind, sie können darüber urteilen, wir haben kein Recht dazu!" sie zuckte mit den Schultern und wollte in die Küche.

Zwei Sekunden später erschien ihr Kopf in der Tür: "Ähm, Sam schläft auf dem Sessel vorm Kamin und rührt sich nicht, ist das normal?"

"Oh, ja. Wir haben Mum eine Schlaftablette verabreicht, sie brauchte dringend etwas Ruhe. Deshalb sind wir ja auch eigentlich hier. Ich würde sagen, es gäbe hier eine Möglichkeit, das Centre richtig zu ärgern!" Jack hatte sich wieder beruhigt und sah Jarod fragend an.

"Was ist los?"

"Komm mit, ich zeig es dir...!"









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